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Naturstrom soll rund um die Uhr zu Kunden fließen

■ Anhänger alternativer Energien gründen ein eigenes Stromhandelsunternehmen

Berlin (taz) – Günther Rexrodts Energierechtsnovelle beflügelt den Unternehmergeist in der Solarstromszene. Ende vergangener Woche gründeten Aktivisten aus insgesamt neun Alternativenergie- und Naturschutzverbänden die Naturstrom AG (Natag) mit Sitz in Düsseldorf.

Auf einem „zweiten Strommarkt“ sollen umweltbewußte Bürger künftig „grünen Strom“ von privaten Produzenten einkaufen können – anfangs zu einem erhöhten Preis, der eine rentable Produktion des bisher noch zu teuren Ökostroms zuläßt. Erklärtes Ziel der Natag ist die Rund-um- die-Uhr-Versorgung ihrer Kunden mit erneuerbaren Energien „per zeitgleicher Durchleitung durch die vorhandenen Netze“.

Da den Initiatoren schwant, daß die Etablierten alles daran setzen werden, die Öko-Konkurrenz mit überteuerten Durchleitungsgebühren und Hochpreisen für die Bereitstellung von Reservestrom vom Markt zu halten, sollen zunächst überschaubare Produzenten-Abnehmer-Verträge „durchgespielt“ werden – notfalls auch vor den Gerichten. Parallel will die Natag einen Verbund aus Kraftwerken aufbauen, der tatsächlich 24 Stunden am Tag, sommers wie winters, die Versorgung garantieren soll. Eine Schlüsselstellung nehmen bei diesen Plänen Biomasse-, geothermische und künftig Speicherkraftwerke ein, die zu Zeiten schwacher Sonneneinstrahlung oder in windarmen Phasen die Hauptlast übernehmen müssen.

Möglich macht die Gründung der Natag ausgerechnet das vom Bonner Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (FDP) gegen den massiven Protest des rot-grün dominierten Bundesrats durchgepaukte Stromliberalisierungsgesetz. Die Novelle eröffnet Industrie und privaten Elektrizitätskunden erstmals die Möglichkeit zur freien Wahl des Stromlieferanten. Vor allem kommunale Energieversorger und die privaten Anbieter regenerativ erzeugten Stroms sahen sich bisher durch das Gesetz in ihrer Existenz bedroht, weil sie fürchten müssen, im bevorstehenden Preiskampf der Konzerne nicht mithalten zu können (taz vom 15.4.).

Nun wollen die Pioniere umweltgerechter Stromerzeugung aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie das Rexrodtsche Regelwerk in ihrem Sinne nutzen: Als Treibsatz für den „Öko-Strommarkt“. Mit dem Coup werde sich die Markteinführung umweltgerechter Stromerzeugung in Deutschland beschleunigen, glaubt der Präsident der Sonnenenergievereinigung Eurosolar und SPD-Bundestagsabgeordnete, Hermann Scheer.

Streit gibt es noch um die Definition des ökologisch korrekten Stroms: Reicht es, fossile Energieträger wie Kohle oder Erdgas in kraftwärmegekoppelten Kraftwerken effektiver als bisher zu verbrennen, oder sind ausschließlich die erneuerbaren Energieträger Sonne, Wind, Wasser und Biomasse erlaubt? Die Vertreter der reinen Lehre haben bereits entschieden: Zur Naturstrom AG dürfen nur solche unabhängigen Stromerzeuger stoßen, die ausschließlich nicht-fossile Quellen nutzen und mit der gesetzlichen Mindestvergütung nach dem Stromeinspeisungsgesetz noch nicht rentabel arbeiten können.

Gleichzeitig kursiert ein Definitionsentwurf für umweltfreundlichen Strom aus der Feder von Hermann Scheer. Er unterscheidet zwischen ausschließlich regenerativ erzeugtem „grünem Strom“ und solcher Elektrizität, die auch aus ressourcen- und umweltschonenden, fossil befeuerten Kraftwärmekopplungsanlagen stammt („Umweltstrom“).

Am kommenden Samstag planen die Initiatoren in Stuttgart eine Konferenz zum „Öko-Strommarkt“, in deren Verlauf das weitere Vorgehen abgestimmt werden soll. Gerd Rosenkranz

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