: Die Elite, die 1989 demonstrierte, ist längst wieder integriert. Sie probt den Marsch durch die Illusionen und die Institutionen
Selbst wer sich in Peking heute noch als „89er“ versteht, hat wohl kaum auf die Freilassung des Dissidenten Wang Dans gewartet. Vielmehr sehnt man den 29.April herbei, an dem das neue Album von Cui Jian erscheint, jenem „Bob Dylan“ der Volksrepublik, der die Lieder dichtete (und vor der Menge spielte), die den Studenten auf dem Tiananmen 1989 ihren Mut einflößten.
Seinen bissigen Ton hat Cui bis auf den heutigen Tag nicht geändert: „Die Macht der Machlosen“ lautet der programmatische Titel der neuen Einspielung. Und doch ist Cuis wiedergewonnene Popularität – nach Jahren des Auftritts- und Publikationsverbots – verdächtig.
Das Regime fürchtet den Musiker nicht mehr und zwar mit gutem Grund. Denn wer immer die Revolte von 1989 noch im Kopf hat, geht heute einer anderen Tätigkeit nach. Längst ist die Elite, die 1989 demonstrierte, wieder in die Gesellschaft integriert – nur ihre Musik ist mit Cui Jian eine andere geblieben.
Wang Dan würde das schmerzlich zu spüren bekommen, wenn er nicht so berühmt wäre und wie derzeit eine Reihe anderer 89er stillschweigend von der Justiz begnadigt würde.
Seinen Weltruhm verdankt der heute 29jährige ehemalige Studentenführer ohnehin nicht irgendwelchen unnachahmlichen Taten in der Revolte von 1989, sondern den Bildern, die westliche Fernsehanstalten von dem 20 Jahre jungen Revolutionshelden mit Stirnband und Megafon auf dem Platz des Himmlischen Friedens drehten. Diese Aufnahmen gingen nach der blutigen Zerschlagung der Revolte um die Welt.
Erst später, während seiner insgesamt siebenjährigen Haftzeit, bewies Wang ein einzigartiges Durchhaltevermögen. Schon als er 1993 nach dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe für seine Rolle in der Studentenbewegung das erste Mal entlassen wurde, bekannte er sich unbeirrt zu seinen demokratischen Überzeugungen – und verschwand dafür 1995 wieder in den Fängen der Staatssicherheit, bis er im Dezember 1996 aufgrund des Vorwurfs der „Verschwörung zum Sturz der Regierung“ zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Nach seiner Entlassung wäre Wang allerdings gut beraten, nicht mehr von jener „großen, patriotischen Demokratiebewegung“ zu sprechen, die bisher durch all seine Gedanken kreist. Die Zeiten haben sich geändert. Das Vorbild des aufopferungsbereiten Revolutionärs, der von sich sagt: „Ich weiß, ich werde mit meinem Blut und Leben für die Sache der chinesischen Demokratie bezahlen“ – es existiert schon deshalb nicht mehr, weil es wie die salbungsvolle Sprache Wangs der verhaßten Kulturrevolution entstammt.
Das alles bedeutet jedoch nicht, daß die 89er in China nichts mehr zu sagen haben. Sie sind vielmehr den üblichen Weg durch die Illusionen und Institutionen angetreten. Und wo der endet, wissen wir bekanntlich auch in Deutschland noch nicht.
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