Stahlton in berstendem Rhythmus

■ Sian Edwards interpretierte in der Glocke Britten, Strawinsky und Mozart

Noch ist die kraftvolle 2. Sinfonie von Kurt Weill vom Januar-Konzert im Gedächtnis – jetzt, war die junge englische Dirigentin Sian Edwards wieder da und interpretierte – erneut eindrucksvoll – Benjamin Britten und Igor Strawinsky.

Schon seit 1992 kennt man in Bremen die Dirigentin. Beim Musikfest dirigierte Sian Edwards die Junge Deutsche Philharmonie – im Januar dieses Jahres dann die Deutsche Kammerphilharmonie und nun das Sinfonieorchester des NDR in der Glocke: Stets fällt die präzise Gestaltungskraft auf und die Fähigkeit, die Dinge von innen heraus sich entwickeln zu lassen. Edwards hat offensichtlich eine starke Beziehung zu der Musik des 20. Jahrhunderts, die man in Ermangelung eines besseren Ausdrucks vielleicht als Neoklassizismus bezeichnen kann.

Das grelle Meer-Szenario, das Britten in seinen „Four Sea-Interludes“– aus der Oper „Peter Grimes“– entwirft, erklang so eindrucksvoll, daß man sich kaum am illustrativen Charakter dieser Musik störte. Zwei Stücke von Igor Strawinsky erinnerten an dessen wohl einmalige Entwicklung, die 1913 (mit einem der größten Uraufführungsskandale der Musikgeschichte) begann: Aus dem erbitterten Gegner der damaligen Zwölftonmusik, der Strawinsky am Anfang des Jahrhunderts war, wurde zuletzt ein glühender Verehrer Anton Weberns. Die erst ablehnende Einstellung des Komponisten ist noch deutlich in der 1942/45 entstandenen „Symphony in Three Movements“zu spüren. Da hört man nahezu alle für Strawinsky maßgeblichen Einflüsse und Vorbilder, vom Jazz zur barocken Konzertform, von folkloristischen Reminiszenzen bis bis zu fugenartigen Gebilden – Ernst Bloch sprach von einem „atmosphärelosen Stahlton“.

Zusammengehalten wird alles durch eine berstende rhythmische Kraft, die archaische Blöcke und imaginäre Räume, auch Choreographien suggeriert. Das war ebenso glänzend gemacht wie die klangfarbliche Transparenz der seriellen „Variations for orchestra“aus dem Jahr 1963.

Spröde ist Strawinsky für mich immer. Ausdruck, so der Komponist in seinen berühmten Vorlesungen über „Musikalische Poetik“, gäbe es in der Musik ebensowenig wie Interpretation erforderlich wäre. Komponieren bedeutete für ihn nichts anderes als die Ordnung der Intervalle, eine Textur, die man nur zu „lesen und auszuführen“, nicht zu interpretieren habe. Diesen sachlichen Anforderungen, die sich verbinden mit einer rhythmischen Vertracktheit ohnegleichen, wurde Sian Edwards mit dem Orchester scheinbar spielend gerecht – nicht anders als auch schon in dem Konzert von 1992.

Nicht schlecht, aber sehr viel weniger überzeugend geriet die Wiedergabe von Mozarts spätem Klavierkonzert KV 466, das mit d-Moll eines der wenigen Mollwerke in Mozarts Oeuvre ist. Der Solist Rudolf Buchbinder und seine Dirigentin wollten nicht so richtig übereinkommen. Während Buchbinder versuchte, einige rhetorische Akzente zu setzen, wühlte sich Edwards durch den Mozartschen Orchestersatz, als wär es ein Stück aus dem nächsten Jahrhundert – wenige kammermusikalische Perfektionen änderten an dem Gesamteindruck wenig. Doch auch Buchbinders eigene Konzeption wirkte in sich nicht schlüssig. Merkwürdig unpoetisch das lyrische Seitenthema der ersten Satzes, merkwürdig beiläufig vieles gespielt, anderes wiederum von einer sprechenden Intensität, geradezu dämonisch aufgewühlt die Arpeggien im ersten und zweiten Satz.

Nach dem ersten Satz gab es Beifall. Ein solches Publikumsverhalten regt auch mich auf, aber wenn mein Nachbar sagt: „Typisch. Was kann man in Bremen anderes erwarten!“, dann regt sich Lokalpatriotismus. Als ob es anderswo nicht genauso wäre.

Ute Schalz-Laurenze