piwik no script img

Ein netter Herr

Wes Craven, der Altmeister des Horrorfilms, macht es noch einmal mit „Scream 2“. Sonst setzt er aber alles daran, das Genre endlich hinter sich zu lassen. In seinem nächsten Film wird Madonna einfach eine Geigenlehrerin spielen  ■ Von Thomas Winkler

Dies ist das Bild, das man erblickt. Ein grauer Bart, ein schlichtes Sakko, ein kleiner Bauch, der über den Gürtel hängt. Kurz: ein freundlicher älterer Herr. Einer, der vielleicht seinen Enkelkindern Geschichten vorliest.

Dies sind die Bilder, die man sieht: der rächende Vater mit der Kettensäge aus „Last House on the Left“; die blitzende Scherenhand von Freddy Krueger, wie sie ein Heizungsrohr entlangquietscht; kreischende Teenager, in deren schreckgeweiteten Augen man das Wissen um den anstehenden Tod zu lesen glaubt; die Schlauberger aus „Scream“, die die Regeln kennen, aber trotzdem dran glauben müssen. Man kann versuchen, diese Lust am Grauen, am Blut, am Ekel, diesen Zynismus – man kann versuchen, all dies in Wes Cravens mildem Lächeln zu erkennen, in seiner immer ruhigen Stimme zu hören. Man kann es versuchen, aber es funktioniert nicht. In dieser Stimme, in diesem Lächeln findet sich nichts Teuflisches. Er ist der Märchenonkel. Aber manchmal liest er halt nicht nur den Enkelkindern eine Geschichte vor.

Wes Craven (59) sieht natürlich nicht mehr aus wie der einstige Literatur- und Philosophiestudent oder New Yorker Taxifahrer. Er ähnelt immer noch dem College- Professor. Auch wenn das eine seiner kürzeren Beschäftigungen war, sie brachte ihn zum Kino, als er mit seinen Studenten einen Film drehte. Seitdem ist viel Zeit vergangen. So viel Zeit, daß die eigenen Kinder inzwischen lange aus dem Studentenalter raus sind.

Es ist eine absurde Vorstellung, daß ein Regisseur dieselben Gelüste auszuleben habe wie die Figuren in seinen Filmen. Doch sie ist weit verbreitet. Die anderen Koryphäen des Genres haben ja wirklich diesen irrisierenden Blick. Ein Dario Argento wirkt tatsächlich ein wenig wirr und ein David Cronenberg leicht diabolisch. Craven dagegen ist der „ruhigste, erwachsenste Mann, den ich jemals getroffen habe“, mußte auch Kevin Williamson, Drehbuchautor von „Scream“, feststellen.

Doch während Argento und Cronenberg nie Probleme hatten, das Genre hinter sich zu lassen, und vor allem nicht ausschließlich als Horror-Regisseure wahrgenommen werden, war ausgerechnet der liebe Onkel eingesperrt in einem Gefängnis, „das ich mir zum guten Teil auch selbst geschaffen hatte“. Seit 1972, seit dem gerade mal 90.000 Dollar teuren „Last House on the Left“, blieb Craven festgelegt auf den Horror. Der Film war zwar ein Remake des Bergman-Films „Jungfrukällan“, löste aber Tumulte in den Kinos aus, in deren Verlauf Vorführer tätlich angegriffen wurden, und ist selbst heute noch eine schockierende Schlächter-Orgie, in der die Gewalt ebenso unerklärlich wie brutal hereinbricht. Was auch daran liegt, daß „Last House on the Left“ nie zensiert wurde. Da nach diversen beschnittenen Versionen immer noch keine Freigabe in Sicht war, stieg Produzent Sean Cunningham in einen Keller, klaute das Rating von einer anderen Filmrolle, klebte es vor die originale Fassung, und so kam der Film ungeschnitten ins Kino.

Doch von da an kam Craven nicht mehr raus aus dem Horrorfilm-Gefängnis. „Über die Jahre habe ich versucht, was anderes zu machen“, erzählt er, und daß Studiobosse und Geldgeber genau das nicht zuließen, „das war ziemlich frustrierend“. Doch in mehr als einem Vierteljahrhundert stellte Craven auch fest, daß er anderswo kaum solche Freiheiten genießen würde: „Ich mag Horror, es ist in vielerlei Hinsicht ein interessantes Genre mit vielen Freiheiten. Man wird normalerweise nicht überwacht. Eine romantische Komödie hat haufenweise mit Einflußnahme des Studios zu rechnen, weil jeder glaubt, ein Experte zu sein. Aber bei Horror halten die Leute Abstand: Du bist der Verrückte, sagen sie, mach du es.“

Also machte er es und schenkte dem Teenager sein ureigenes Teenagerkino. Sein größtes Talent sei es wohl, hat Craven einmal gesagt, zu erkennen, welche Ängste Menschen haben. Und diese für Filme auszuschlachten, möchte man hinzufügen. Und weil Teenager den Großteil des Horror-Publikums stellen, machte Craven sie konsequent zu den Protagonisten seiner Filme. Welche Urangst auch immer, ob vor Dunkelheit, engen Räumen, Natur, Sexualität, die von meist namenlosen Schauspielern dargestellten Opfer konnten sich nicht so schnell fürchten, wie sie hingemetzelt wurden. Trotzdem sucht man in seiner Filmographie vergebens nach stupiden Schlachtfesten wie „Freitag, der 13.“. Craven, so wird immer wieder gerne kolportiert, hat während der Folterszene in „Reservoir Dogs“ das Kino verlassen, „weil ich das Gefühl hatte, der Regisseur fand das cool“. Er weiß, wie der Horror funktioniert, er muß sich das nicht mehr ansehen. Außerdem ist Craven, der in einem streng katholischen Elternhaus aufwuchs und mit 19 Jahren seinen ersten Film sah, ein Moralist. Selbst der allein auf Selbstreferenz bauende erste „Scream“ war für Craven noch ein moralischer Film: „Die beiden Killer mit ihrem schlauen Plan, sich selbst zu schneiden, sind so blöde, daß sie verbluten. Die Botschaft ist, das sind keine coolen Leute.“

Aber seine Filme funktionierten auch als Horrorfilme, denn „man kann sich sicherlich am einfachsten auf das Handwerk konzentrieren, aber man muß eine Vision haben, einen alles beherrschenden Gedanken“. So wurde fast schon gebetsmühlenartig die Familie verhandelt, ob als Grundübel oder Grundfeste dieser Gesellschaft.

In dieser Hinsicht war Craven bis zu den „Scream“-Filmen sehr amerikanisch. Erst dort definieren sich die Teenager nicht mehr als – ob nun rebellierender oder eingebundener – Teil der Familie. Und sie leben viel mehr in den Freundschaften, in denen die Regeln des Kinos als Lebensregeln verhandelt werden, und kaum in Liebesbeziehungen, die nur oberflächlich funktionieren und keine Rettung verheißen. Wie immer bei Craven stehen die Protagonisten an der Schwelle zum Erwachsensein, aber diesmal stammen sie entweder aus zerrütteten Familien oder scheinen bereits von sich aus alle familiären Bande gekappt zu haben. Auch wenn Sidneys Vater dem Killer begegnet, ist er doch nicht mehr als ein potentielles Opfer. Allein die tote Mutter hat dramaturgische Bedeutung. Ihre Vergangenheit setzt das Böse in Gang, das „Scream“ und „Scream 2“ und demnächst auch „Scream 3“ am laufen hält. So ist die Familie kaum mehr als das Motiv, der Ausgangspunkt, aber ganz bestimmt nicht die Lösung. „Scream 2“ beginnt mit dem Ende eines Pärchens im Kinosaal und endet wie „Scream“ damit, daß Sidney allein ist, eine Liebesbeziehung und mehrere Freundschaften verloren hat. Der Schoß der Familie, in den man zurückkehren könnte, den gab es nie und wird es nie geben.

Das Ende der Familie war aber nur einer von vielen Endpunkten, die „Scream“ setzte. Zwar hatte Craven selbst schon in den 80ern mit dem ersten „Nightmare on Elm Street“ den Horrorfilm erweitert und ihn über sich selbst schmunzeln lassen. Nie wußte man bei seinen Filmen, „ob man lachen oder kreischen sollte“. Das führte in der „Nightmare“-Reihe schließlich zu immer ausufernderen selbstreferentiellen Anspielungen, für die Craven nicht mehr verantwortlich und über die er auch nicht glücklich war. „Es war eine sehr clevere geschäftliche Entscheidung, und es war eine rein geschäftliche Entscheidung“, übt Craven noch heute Kritik an den vier Freddy-Krueger-Abenteuern, die völlig ohne seine Beteiligung entstanden, „sie haben einen Clown aus Freddy gemacht.“ Wäre es nach ihm gegangen, wäre Krueger so böse geworden, „daß jeder außer den Hardcore-Fans aus dem Kino gerannt wäre“. Aber es war eine Entwicklung, die er selbst mit „Wes Cravens New Nightmare“, dem siebten Teil der Reihe, abschloß und mit „Scream“ schließlich endgültig auf die Metaebene hob. Man könnte meinen, Craven hätte versucht, den Horrorfilm so weit zu treiben, daß danach nichts mehr kommen könnte und er endlich vom Fluch befreit wäre.

„Scream 2“ nun versucht, das Rad wieder zurückzudrehen. Es wird zwar immer noch, aber weniger über die Genreregeln diskutiert, dafür spielt der zweite Teil vehement mit dem Mythos um den ersten. So beginnt „Scream 2“ mit einer Preview von „Stab“. „Stab“ ist Film im Film, der erste „Scream“ wurde noch einmal neu, mit den exakt gleichen Einstellungen, aber anderen Schauspielern verfilmt, so spielt Tori Spelling in „Stab“ die Sidney, die Neve Campbell wiederum in „Scream“ und „Scream 2“ spielt. Und so muß sich Campbell als Sidney anhören, daß es ja wohl cool sei, von Spelling gespielt zu werden. Im ersten Teil war noch darüber spekuliert worden, daß bei einer möglichen Verfilmung Meg Ryan eine gute Besetzung sei. Meta-Meta-Horror.

Absurderweise legen Williamson, der im letzten Jahr mit „I Know What You Did Last Summer“ einen weiteren Genreblockbuster ablieferte, und Craven, der diesmal ganze Szenen selbst schrieb, Wert darauf, sich gerade bei „Scream 2“ um Realität bemüht zu haben, „insofern man in diesem Zusammenhang von Realität sprechen kann“. Das gesamte Drehbuch mußte neu geschrieben werden, als eine erste Drehbuchversion im Internet auftauchte. „Wir durften nicht zu artifiziell werden“, erzählt Craven, „einer der Hauptcharaktere mußte sterben. Wir mußten jemanden opfern, um hart zu sein.“ Eine Zeitlang wurde sogar diskutiert, mit Sidney die Hauptperson sterben zu lassen.

Für den dritten Teil, über den im Internet bereits wild spekuliert wird, gibt es noch kein Drehbuch. Immerhin eines ist sicher: Der Film wird gedreht werden. Schon allein deshalb, weil „Scream“ und „Scream 2“ die erfolgreichsten Horrorfilme aller Zeiten sind. Der erste hatte allein in Deutschland 1,5 Millionen Zuschauer, und der zweite hat in den USA auch schon über 100 Millionen Dollar eingespielt. Fragt sich nur, wann Williamson zu Teil drei kommt, denn momentan ist er mit schätzungsweise zwei Dutzend Projekten beschäftigt. Nicht alle davon in seinem Fachbereich, schließlich sei er „kein Horror-Boy“, erzählte er The Face. Aber immerhin schreibt er Jamie Lee Curtis einen weiteren „Halloween“ auf den Leib, schließlich ist das Original von Carpenter immer noch Williamsons Lieblingsfilm.

Auch Craven bekam nach „Scream“, dem ersten, zwar lukrative Angebote, aber doch wieder nur im altbekannten Genre. Einzig die „Scream“-Produzenten Miramax trauten ihm etwas anderes zu. So gibt es auch für Craven doch noch ein „happy ending“, wie er es nennt. Dem Altmeister des Horror, der genau das niemals sein wollte, wird endlich gestattet, sich aus dem selbstgebauten Gefängnis zu verabschieden. Im August wird er mit den Dreharbeiten zu „50 Violins“ beginnen, einem auf Tatsachen beruhenden Film um eine Geigenlehrerin in East Harlem. Madonna spielt die Hauptrolle, das Budget sind ungefähr 20 Millionen Dollar. Anfang des nächsten Jahres wird der Roman über Gentechnik herauskommen, an dem er gerade schreibt und für den er bereits Angebote von Hollywood-Studios hat. Der Märchenonkel darf endlich eine neues Buch aufschlagen.

„Scream 2“. Regie: Wes Craven, Buch: Kevin Williamson, Kamera: Peter Deming. Mit Neve Campbell, Courtney Cox, David Arquette, Jamie Kennedy u.a. USA 1997, 121 Minuten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen