piwik no script img

■ H.G. HolleinIrrwege

Die Stadt, in der ich mich bewege, gibt mir gelegentlich nomenklatorische Rätsel auf. Der urbane Pfiff eines Straßenschildes wie ABC-Straße will schließlich erstmal übertroffen sein. Seit ich kürzlich ein Faksimile des ersten jener tückischen Falk-Patentfaltpläne aus dem Jahr 1945 – bereits mit dem wegweisenden Aufdruck „Plan nicht auseinanderfalten“– in die Hand bekam, sind die Fragen nicht weniger geworden.

Daß man seinerzeit eine Adolfstraße nicht länger als Fortsetzung der Kleinen Freiheit begehen wollte und nach zwei deutschfreundlichen dänischen Ministern des 18. Jahrhunderts zur Bernstorffstraße umdeklarierte, ist einsehbar. Andererseits wollte man die Dänen aber wohl nicht zum Übermut verleiten und beließ es bei den Straßen gegenüber dem Holstenplatz bei den siegreichen Schlachtennamen des 1864er Krieges als da waren Alsen, Düppel, Arnis und Missunde. In durchaus postkolonialistischer Einsicht, aber doch mit einem Schuß Restbeharren auf das wilhelminisch-imperiale Erbe, tilgte man an der Behringstraße zwar Kamerun und Daressalam aus dem Straßenbestand, wollte aber vom namibischen Windhuk bis heute wohl nicht recht lassen.

Warum in der Verlängerung vom Langen Zug Goethe scheint's nicht länger wohlgelitten war und dem nicht ganz zu Unrecht halbvergessenen Grillparzer weichen mußte, erschließt sich mir ebensowenig wie die Stellinger Metamorphose eines Fasanen- zum Pinguinweg. Spekulationen über das völlige Verschwinden des Möschenreems, vormals Theodor-Körner-Straße, versage ich mir. Immerhin steht an der früheren Einmündung zur Haldesdorfer Straße heute in Barmbek-Nord die Thomas-Kirche. Aus der Altonaer Wilhelmstaße eine Chemnitzstraße zu machen, zeugt entgegen naheliegenden Vermutungen keineswegs von historischem Weitblick. Wer meint, nach 50 Jahren Karl-Marx-Stadt dort heute wieder geographisch a jour zu wohnen, dem sei beschieden, daß hier Matthäus Chemnitz als Dichter des „Schleswig-Holstein-Liedes“auf den Straßenschild gehoben wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen