Mit Bildung gegen wachsende Armut

■ Mit einer Innenstadtkonferenz will Berlins Regierender gegen „Verslumung“ kämpfen

Berlin (taz) – Bis die Realität ins Bewußtsein von Politikern dringt, braucht es seine Zeit. Das gilt vor allem für Berlin, wo die Politiker der Großen Koalition am liebsten immer noch den Traum von einer europäischen Dienstleistungsmetropole träumen würden. Doch auch in der Landesregierung hat es sich mittlerweile herumgesprochen, daß Berlin eher Armuts- als Dienstleistungsmetropole ist. Auf einer ersten von insgesamt vier „Innenstadtkonferenzen“ will sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) heute abend deshalb persönlich des Themas Armut in der Innenstadt annehmen – ein halbes Jahr nachdem der Spiegel im Stadtteil Neukölln die „Berliner Bronx“ entdeckt hatte.

Es war aber weniger die vom Spiegel als „Verslumung“ wahrgenommene Verarmung der Innenstadtquartiere als vielmehr die zunehmende Abwanderung einkommensstarker Schichten, die das Interesse der Politik weckte. Stadtflucht ist im hochverschuldeten Berlin gleichbedeutend mit Steuerflucht. Kein Wunder also, daß bei der ersten Konferenz heute abend das Thema Schule auf der Tagesordnung steht. Später sollen dann die Themen Arbeit, Wohnen und Sicherheit folgen. Bis zu 300.000 Berliner, schätzt das Forschungsinstitut Prognos, werden in den nächsten Jahren der Stadt in Richtung Umland den Rücken kehren. Vor allem Familien suchen, meist vor der Einschulung ihrer Kinder, das Weite. Zurück bleiben ungelöste soziale Probleme und Schulklassen in Kreuzberg und Neukölln mit einem Anteil von bis zu 80 Prozent Ausländerkindern. Ein Teufelskreis von Ursache und Wirkung.

Bislang hat die Berliner Politik bei den Wirkungen angesetzt. Um Familien am Wegzug zu hindern, soll in bestimmten Siedlungen in Kürze die Fehlbelegungsabgabe im Sozialen Wohnungsbau abgeschafft werden. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky plädierte für den Abriß „sozialer Brennpunkte“ wie das „Neue Kreuzberger Zentrum“ am Kottbusser Tor. Und Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) machte sich für eine Wiedereinführung der Zuzugssperre für Ausländer stark. Doch damit, so kritisiert der innenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Wolfgang Wieland, „löst man die bestehenden Integrationsprobleme nicht“.

Inwieweit die heutige Innenstadtkonferenz diese Probleme auch nur annähernd zu lösen vermag, ist offen. Schon im Vorfeld ist ein heftiger Streit um die Bildungspolitik entbrannt. So forderte Eberhard Diepgen etwa, den Ausländeranteil in Schulklassen auf 20 bis 30 Prozent zu begrenzen. Innensenator Schönbohm wollte gar die Gelder für den sprachlichen Förderunterricht streichen, während im Gegenzug Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) den Ausbau des Förderunterrichts fordert. Die Mehrkosten sollten aus einem Wertausgleich finanziert werden, bei dem die reichen Bezirke zugunsten der Innenstadtquartiere zur Kasse gebeten würden. Auch in der Bildungspolitik stellt sich also wieder die Frage, ob man für diejenigen Politik macht, die man halten möchte oder diejenigen, die gar keine andere Wahl haben, als zu bleiben.

Letzteres betrifft vor allem die Immigranten, die in Kreuzberg mehr als ein Drittel der Bewohner stellen. Schon lange warnen deren Organisationen vor einer Ethnisierung sozialer Konflikte. Nicht in der Konzentration der Immigranten in manchen Quartieren liege die Ursache für die Probleme der Innenstadt, sondern in fehlenden Arbeitsplätzen und steigender Armut. Dazu komme, so Safter Cinar vom Türkischen Bund, ein „Bankrott der deutschen Schulpolitik“.

Heute abend kann aber auch Safter Cinar dazu beitragen, aus dem Bankrott einen Neuanfang zu machen. Der Sprecher des Türkischen Bundes ist ebenso zur Innenstadtkonferenz eingeladen wie die Schulleiter von vier Kreuzberger Schulen. Nicht zuletzt deshalb hegt SPD-Senator Strieder die Hoffnung, daß sich mit einer solchen Konferenz der liberale Flügel der CDU gegen den Populismus des Innensenators durchsetzt.

Die Grünen bleiben dennoch skeptisch, ob sich die Große Koalition der Realität stellt und die Ursachen anstatt die Wirkungen der Verarmung bekämpft. Sie wollen nun eine eigene Innenstadtkonferenz organisieren. Uwe Rada