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Frauen sind halt billiger

Leben in der Bundesliga (XV): In der Schach-Bundesliga geht es nicht etwa angemessen ruhig zu, sondern drunter und drüber. Selbst Spitzenteams stehen am Rande der Pleite  ■ Von Hartmut Metz

Schach-Erstligisten in deutschsprachigen Landen sollten die Finger von Anatoli Karpow lassen. Unbestritten ziert der Weltmeister jedes Team – doch haftet an ihm auch der Ruch des Unglücksraben. In den achtziger Jahren heuerte der Russe beim Emporkömmling Stadthagen an, wenig später waren die Niedersachsen pleite. Gleiches widerfuhr diese Saison dem österreichischen Staatsligisten Margareten Winterthur.

Schon die bloße Kontaktaufnahme mit Karpow „infizierte“ anscheinend die Traditionsmannschaft Freiburg-Zähringen. Am Sonntag stieg die Fahrstuhlmannschaft zum vierten Mal aus der Bundesliga ab. Nur ein Punkt fehlte dem Tabellen-13. zum Klassenerhalt. Nun droht der Fall ins Bodenlose. „Bricht der Verein auseinander, werde ich das diesmal nicht aufhalten“, erklärt Christof Herbrechtsmeier unumwunden. Der 44jährige war schon alles im Verein: Präsident, Spitzenspieler und – am unentbehrlichsten für einen hochklassigen Schachklub – Mäzen. Über 20.000 Mark hat der Inhaber einer Karlsruher Softwarefirma in dieser Saison in die Mannschaft gesteckt und damit zusammen mit der Stadt Freiburg den Löwenanteil der Ausgaben gedeckt. Herbrechtsmeier erwägt, künftig nur noch Frauen-Bundesligist Karlsruher SF zu unterstützen: „Damen sind billiger.“

Vor knapp zwei Jahren schien die Zukunft noch rosig. Der schachliche Stolz Südbadens wollte sich mit dem fußballerischen vereinen. Volker Finke, Trainer des SC Freiburg, fand ebenso wie einige seiner Bundesliga-Kicker Gefallen daran, die Brettstrategen beim Sport-Club aufzunehmen. Schließlich pflegten die Breisgau-Brasilianer allzugern das Image des etwas anderen Vereins im Fußball-Oberhaus. Das intellektuelle Getue sollte sich künftig nicht mehr nur allein darauf beschränken, selbstgedrehte Zigaretten zu paffen. Und um den „Knaller“ perfekt zu machen, hatte Zähringen Karpow an der Angel. Für 5.000 Mark pro Spieltag wäre die Koryphäe Brett bei Fuß gestanden. „Finke zeigte sich begeistert, doch dieser Pfennigfuchser Stocker wollte nicht“, erinnert sich Herbrechtsmeier höchst ungern daran, daß der SC-Präsident einen zweiten Schach- und Fußball-Bundesligisten nach Werder Bremen zu verhindern wußte. Der biedere Finanzbeamte Achim Stocker hatte kühl kombiniert, daß das würdeheischende Spiel außer Imagepflege nichts einbringt.

Weil Zuschauereinnahmen oft nicht einmal die Kosten für Kassierer decken, wird im Schach meist auf Eintritt verzichtet. Wohl und Wehe einzelner Klubs hängen folglich von den Launen eines Gönners ab. Bei der SG Porz poltert Wilfried Hilgert zwar auch gelegentlich, aber der 64jährige Ex-Reeder und millionenschwere Fußball kennt eh jeder. Die taz- Serie untersucht: Wie lebt es sich in anderen Bundesligen? Zuletzt erschien Korfball am 21. April.

Kölner Immobilienmakler steckt unverdrossen seit Jahrzehnten Geld in sein Steckenpferd. Geschätzte 500.000 Mark pro Saison verschlingt seine Startruppe, die nach dem Deutschen Pokalsieg im März am Sonntag das Double in der Meisterschaft perfekt machte.

Wie fragil das Beziehungsgeflecht zwischen Verein und Mäzen ist, zeigte sich vor allem an Hilgerts großem Gegenspieler Dr. Heinrich Jellissen. Als der Geldgeber des Serienmeisters Bayern München starb und es sich herausstellte, daß der ehemalige Autorennfahrer Millionen (darunter die bescheidenen Ersparnisse seiner vertrauensseligen Schützlinge) verspekuliert hatte, rutschte die Schachabteilung in die Oberliga ab. Franz Beckenbauer gebot dem Niedergang keinen Einhalt: „Die kosten nur Geld“, beschied der Bayern-Boß und verpflichtete lieber Mario Basler als Vordenker.

Wie rasch ein Scherbenhaufen entstehen kann, erfuhr auch Empor Berlin. Mit 2:28 Punkten stieg der letzte DDR-Meister sang- und klanglos ab. Im Vorjahr stand noch die überragende Doppelspitze der Bundesliga, der Weltranglistenzweite Wladimir Kramnik und -vierte Alexej Schirow, auf der Rangliste des Meisterschaftsaspiranten. Doch dann erschien nach der Niederlage gegen den späteren Titelträger Solingen ein Artikel in der Berliner Zeitung. Bernhard Schewe investiere bei jedem der acht Bundesliga-Wochenenden „100.000 Mark“, hieß es in dem miserabel recherchierten Text. Überdies wurde der Chef einer Berliner Beteiligungsgesellschaft als halbseidener Geschäftsmann geschildert. „Man erwartet als Sponsor ja keine Dankbarkeit. Aber solchermaßen eins auf den Deckel zu bekommen war einfach zuviel. Der Schaden bei meinen Kunden ist nur schwer wiedergutzumachen“, meinte Schewe und beendete trotz einer tags darauf folgenden Gegendarstellung in der Berliner Zeitung sein Engagement beim damaligen Tabellendritten.

„Das zeigt, wie abhängig Randsportarten vom Mäzenatentum sind“, befindet Empor-Mannschaftsführer Frank Kimpinsky. Von dereinst elf Großmeistern fand sich heuer nur noch einer auf der Gehaltsliste der Hauptstädter. Der in 15 Spielen sieglose Tabellenvorletzte mutierte aber nicht ganz von Empor zu Abwärts Berlin, wie Lästermäuler rasch kolportierten. „Wir haben als Unterbau vier Mannschaften. Nach einer Runderneuerung überleben wir in der 2. Liga“, versichert Kimpinsky.

Im Gegensatz dazu schien sich der SK Zähringen, der neben seinem Retortenteam lediglich noch ein Reserveoktett besitzt, vor der Auflösung zu befinden – bis die Bombe bei Bundesliga-Reisepartner Anderssen St. Ingbert platzte: Nachdem Rang drei und die Qualifikation für den Europapokal endgültig verpaßt war, verkündete der Sponsor am Wochenende seinen Rückzug. Sollten die Saarländer bis zum 1. Juni keinen neuen Geldgeber finden, bliebe Zähringen erstklassig. „Das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, erklärt Herbrechtsmeier. Der Zähringer Punkte- und Geldgarant müßte dann grübeln, ob er das Zuschußgeschäft Schach- Bundesliga weiter betreiben soll.

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