: Die Schlange erhebt sich
Grundsteinlegung für 718 Abgeordnetenbehausungen auf dem Moabiter Werder: Größtes Wohnungsbauprojekt des Bundes. Bezirk fürchtet Regierungsghetto ■ Von Rolf Lautenschläger
Geht es um Schlangen, ist immer ein wenig Gift im Spiel. So auch gestern, als bei der Grundsteinlegung auf dem Moabiter Werder für die 718 Abgeordnetenwohnungen – wegen der kurvigen Form „Schlange“ genannt – Rita Süssmuth (CDU) gegen den Bundesrechnungshof giftete. Es sei „unseriös“, sagte die Parlamentspräsidentin, die Planungen des Bundes als „überteuert“ zu bezeichnen. Ebenfalls müsse mit dem „Ammenmärchen“ aufgeräumt werden, polterte Süssmuth, Bundesbedienstete wollten nicht in den Ostteil der Stadt ziehen.
Fakt ist, daß der Bund den reduzierten Wohnungsneubau von insgesamt 12.000 auf 9.100 im Ostteil der Stadt „nach unten korrigiert“ und im Westteil forciert. In das schiefe Bild paßt, daß auf dem westlichen Filetgrundstück Moabiter Werder nun die „größte Neubaumaßnahme für Mietwohnungen des Bundes in Angriff genommen wird“, wie Bundesbauminister Eduard Oswald gestern erklärte. Nach den Plänen des Berliner Architekten Georg Bumiller werden bis 1999 die „Schlange“ mit fünf bis acht Wohnetagen auf der einen und die vier „Atriumhäuser“ auf der anderen Seite des Moabiter Werder errichtet. Der rund 320 Meter lange Baukörper wird an mehreren Stellen mit Durchgängen unterbrochen und hebt sich von der Spree bis hin zur Paulstraße, wo ein hohes Gebäude als Abschluß den „Kopf der Schlange“ bilden soll.
Neben dem spektakulären serpentinenförmigen Bau für insgesamt 200 Millionen Mark, in dem die Abgeordneten während den Sitzungsperioden des Bundestages wohnen werden, sind eine Schule, eine Kindertagsstätte sowie ein Sportplatz auf dem Areal geplant. Wohnbauten und Infrastruktureinrichtungen, sagte Süssmuth, sollten kein „Klein-Bonn“ in Berlin werden, sondern ein „lebendiger Stadtteil“ nahe der Innenstadt.
Mit Sorgenfalten auf der Stirn blickte gestern dennoch Horst Porath, SPD-Baustadtrat im Bezirk Moabit, auf die Grundsteinlegung. Zwar sei es dem Bezirk gelungen, den Schulbau, der neben der ehemaligen Spedition Hamacher entsteht, auch für Moabiter Grundschüler zu nutzen. Die Gefahr eines Regierungsghettos im Schatten des S-Bahn-Viadukts sei dennoch nicht gebannt, so Porath. Nach wie vor halte der Bund an der Planung für die Regierungskita fest, obwohl der Bezirk genügend freie Plätze anzubieten hätte.
Nach Vorstellungen Poraths ist es notwendig, daß die S-Bahn-Bögen nach Moabit geöffnet und Läden, Gastronomie und Dienstleistungen genutzt würden. Außerdem soll eine Brücke über die Spree den Zugang zum Tiergarten erleichtern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen