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"Wer Angst hat, kann einpacken"

■ Gespräch mit dem Radprofi Erik Zabel über büffelherdenmäßige Spurts, seinen erfolgreichen Kollegen Jan Ullrich, die neue deutsche Radsportverrücktheit und einen Fan namens Rudolf Scharping

taz: Herr Zabel, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet Sprinter zu werden?

Erik Zabel: Ich bin gar kein Sprinter.

Sie wollen uns verulken.

Im Ernst, ich habe mal mit Sportmedizinern darüber diskutiert: Der typische Sprinter ist einer wie Jens Fiedler. Der fährt 'nen Kilometer und kann vielleicht noch einen zweiten schaffen, aber dann ist er fertig. Wenn ich eine Etappe bei der Tour gewinnen will, die 160 Kilometer lang ist, dann muß ich erst mal 159 Kilometer schaffen und am Ende trotzdem noch Kraft für den Spurt haben.

Sie sind also unter den Ausdauernden der Schnellste?

Sagen wir so: Irgendwann hat sich herausgestellt, daß ich unter all den Ausdauerfuzzis einer bin, der am Ende glücklicherweise auch noch sprinten kann.

Bei den Spurts geht es oft heftig zur Sache. Letztes Jahr ist Ihnen bei der Tour ein Spurtsieg wegen eines Kopfstoßes aberkannt worden...

Daß die Jury an diesem Tag die Meßlatte so angesetzt hatte, war vielleicht nicht unbedingt falsch. Aber dann hätte man noch zwanzig andere herausnehmen müssen. Der Buhmann, als der ich hingestellt wurde, war ich jedenfalls nicht.

Ein Sprinter kennt den besten Freund nicht mehr, heißt es.

In diesem umstrittenen Schlußsprint zum Beispiel spurteten wir wie eine Büffelherde Richtung Ziel, von rechts nach links, jeder wollte die perfekte Situation erwischen. Da ist es doch klar, daß es zum Körperkontakt kommt.

Die Sache nagt noch immer an Ihnen?

Es geht. Ich habe schließlich über die Tour hinaus von diesem umstrittenen Sprint profitiert. Er hat mir Respekt verschafft. Wenn ich jetzt in einem Rennen wieder ein bißchen Dehnungsgymnastik mache, habe ich rechts und links gleich 'nen Meter Platz und kann in Ruhe durchs Feld fahren.

Was dann auch nicht so gefährlich ist, wie es immer aussieht?

Das ist schon gefährlich, aber teilweise sieht es natürlich von außen schlimmer aus, als es ist. Wenn ich ein Formel-1-Rennen angucke und das Ganze aus der Perspektive der Innenkamera sehe, dann denke ich auch: Die sind doch nicht ganz normal.

Haben Sie Angst beim Sprint?

Ich würde lügen, wenn ich sagte, mir sei alles ganz egal. Aber Angst darf man auf keinen Fall haben. Wer Angst hat, kann eigentlich einpacken.

Nennen wir es Respekt.

Ich weiß, wie gefährlich es ist. Obwohl man auch darüber eigentlich nicht nachdenken dürfte. Genausowenig wie Jan Ullrich, wenn er mit 80 bis 100 Sachen die Abhänge runterrast. Dann darf er auch nicht vor jeder Kurve überlegen: Was ist, wenn jetzt der Reifen platzt?

Bei der Jagd aufs Grüne Trikot war Mario Cipollini bei der letztjährigen Tour Ihr schärfster Konkurrent. Was bringt der Sommer?

Na, ich hoffe erst mal, daß ich selber wieder so gut drauf bin, daß ich sagen kann: Cipollini ist mein Hauptkonkurrent.

Verbindet Sie mehr als nur Rivalität?

Das wichtigste ist, daß wir Achtung voreinander haben. Und die habe ich vor Cipollini wie vor jedem anderen Sprinter. Es ist aber nicht so, daß ich mit Mario Cipollini Kaffee trinken gehe und wir noch eine zusammen rauchen.

Mit wem würden Sie denn gerne mal einen Kaffee trinken?

Mit Greg LeMond, dem dreimaligen Toursieger. Den habe ich schon zu DDR-Zeiten bewundert. Und dann bin ich sogar noch zweimal die Tour mit ihm gefahren. Er hat Persönlichkeit und eine Einstellung zum Sport, die mich bisher am meisten beeindruckt hat. Dagegen gab es Rennfahrer, die ich bewundert habe und von denen ich fürchterlich enttäuscht war, als ich schließlich mit ihnen zu tun hatte. Aber da will ich jetzt lieber keine Namen nennen.

Sie würden wahrscheinlich keinem weh tun, wo doch in Deutschland, was den Radsport betrifft, kaum jemand mehr als Jan Ullrichs Namen aufsagen kann.

Es ist schade, aber es ist halt so. Man kann Bjarne Riis, Erik Zabel oder sonstwie heißen, die Leute fragen immer nur: Ist denn Jan Ullrich auch da?

Der scheint mit der Situation auch nicht immer glücklich zu sein.

Das ist die andere Seite der Medaille. Und wenn Ullrich im Sommer Fünfter wird, wird die große Keule rausgeholt.

Spürt man als Fahrer, wie einem die Leute an der Strecke gesonnen sind?

Klar. Ich bin schon von Anfang an bei Telekom. Ich kenne noch die Zeiten, als wir „Rund um Köln“ gefahren sind – ehrlich gesagt, nicht so besonders toll – und die Leute uns jede Mark ihrer Telefonrechnung vorgeworfen haben. Da fahre ich lieber in Holland, wo die Leute in Dreierreihen vor den Umkleidekabinen stehen und von jedem Fahrer Vor- und Zunamen kennen und sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn einer gerade einen Etappensieg bei der Valencia-Rundfahrt hatte.

Immerhin, seit dem vergangenen Sommer hat die Radsportverrücktheit auch hier aufsteigende Tendenz.

Es ist schon kurios zu sehen, wie man es innerhalb von vier Jahren schaffen kann, daß sich 20.000 Leute auf dem Bonner Marktplatz 'ne magentafarbene Mütze aufsetzen.

Und Rudolf Scharping extra zur Tour kommt.

Also, der war auch schon da, als wir Scheiße zusammengefahren sind. Ich finde es unfair, wenn er von den Medien fertiggemacht wird, nach dem Motto: Jetzt stellt sich der Scharping aufs Trittbrett und versucht auf dem Erfolgszug mitzufahren. Der war schon dabei, als wir vor drei Jahren mit sechs Mann vom Mixed-Team dagesessen haben und mit zwei Journalisten, und die waren auch nur da, weil sie 'nen tierisch miesen Bericht schreiben wollten.

Was wäre denn Ihr Traumsieg?

Ich habe mein Traumrennen gewonnen: Mailand–San Remo. Interview: Mirjam Fischer

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