High-Tech statt Hirse und Paläste statt Hütten

Westafrikas Städte explodieren. Nun bekommt die Hauptstadt Burkina Fasos ein Luxusviertel – „Ouaga 2000“  ■ Aus Ouagadougou Sören Bauer

Da gibt es Telefone ohne Kabel – ehrlich! So etwas habe ich noch nie gesehen! Ist das schick!“ Aichas Augen glänzen, wenn sie von „Ouaga 2000“ erzählt, wo sie bei einer wohlhabenden burkinischen Familie als Dienstmädchen arbeitet. Ouaga 2000 – das ist ein neues 700 Hektar großes, hypermodernes Wohnviertel im Süden Ouagadougous, der Hauptstadt des westafrikanischen Burkina Faso. „Da gibt es Häuser, die sind so schön wie in Europa!“ versichert Aicha, auch wenn sie in Europa nie war. „Ich zeige es euch.“

In der Luft von Ouaga, wie die Bewohner Ouagadougous ihre Hauptstadt nennen, herrscht ein Geruch von trockener Hitze, Holzkohle und Feuer. Der feine Staub des Wüstenwindes „Harmattan“ mischt sich während der Trockenzeit unangenehm mit Auto- und Mofaabgasen.

Von der nach Süden führenden Avenue Bassawarga geht der Weg auf einen mit zwei protzigen Springbrunnen ausgestatteten Kreisverkehr namens „Rond Point de la Patte d'Oie“ (Platz des Gänsefußes). Geländejeeps aller Marken bahnen sich ihren Weg durch unzählige Fahrräder und Mofas, das Fortbewegungsmittel Nummer eins in Ouaga. Kinder verkaufen Papiertaschentücher und Plastiktütchen mit gekühltem Wasser für knapp zehn Pfennige.

Von hier geht der vierspurige „Boulevard France-Afrique“ mit großen Straßenlaternen ab – ein untrügliches Zeichen, daß bald etwas Wichtiges kommen muß. Und tatsächlich: Am östlichen Ende der Hirsefelder blinkt am Horizont ein moderner Wasserturm. Darunter liegt das sagenhafte „Ouaga 2000“.

Der Boulevard France-Afrique führt vorbei an Schmieden, Gemüsehändlern und kleinen Straßencafés durch eine immer kahler werdende Savannenlandschaft, braun mit wenigen Büschen und kahlen Bäumen. Dann biegt das Taxi links auf die nach einem ehemaligen Minister für Wirtschaftsplanung benannten Avenue Pascal Zagré ab – Zagré war Hauptkoordinator des franko-afrikanischen Gipfels im Dezember 1996 und „hatte so viel Streß, daß er kurz vorher starb“, erklärt Taxifahrer Amidou.

Noch einige hundert Meter und der Stolz des modernen Burkina Faso liegt vor uns: Das moderne Konferenzzentrum der neuen Satellitenstadt Ouaga 2000. Es heißt natürlich ebenfalls Ouaga 2000 und liegt in einer „Avenue du Dialogue“.

Bauarbeiter bearbeiten den trockenen Savannenboden davor mit Hacken. „Wir bauen einen neuen Parkplatz für den Gipfel der Organisation der Afrikanischen Einheit im Juli“, erklärt einer schwitzend. Sie müssen sich beeilen: Die Avenue de l'OUA (Organisation für Afrikanische Einheit) in Ouaga 2000 ist ein noch unfertiger, betonierter Weg, der in einem Hirsefeld endet. Dahinter stehen Kräne herum, deren Hälse sich hoch über die Hirse stampfenden Frauen strecken. Ein müder alter Esel schiebt sich über einen Feldweg.

Bei nachmittäglichen Außentemperaturen von über 40 Grad im Schatten schlägt Besuchern eiskalte Luft entgegen, wenn sie die Eingangstür des voll klimatisierten Konferenzkomplexes öffnen. Er ist angeblich ein Geschenk Frankreichs: Die glänzende Tafel in der Eingangshalle bezeichnet das „Internationale Konferenzzentrum von Ouagadougou“ als „Frucht der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Burkina Faso“. Es wurde „am 5. Dezember 1996 anläßlich des 19. franko-afrikanischen Gipfels von den Exzellenzen Jacques Chirac und Blaise Compaoré in Gegenwart der Staatschefs und Repräsentanten von fünfundvierzig afrikanischen Staaten eröffnet“. Und es verbraucht seitdem täglich Unterhaltskosten von 450.000 CFA-Franc, knapp 1.500 Mark – zehn Monatslöhne eines der eifrigen Gärtner, die ohne Unterlaß die Gartenanlage des Zentrums bewässern.

In der teuersten Bauzone A stehen auch schon einige fertige Häuser. Der Baupreis ist 45 Mark pro Quadratmeter, die Villen tragen die Namen aller afrikanischen Länder. Man fährt an Marokko, Lesotho, Elfenbeinküste, den Seychellen und Mauritius vorbei. „In vielen leeren Villen haben hohe Minister gewohnt, die aus dem Krieg im Kongo geflüchtet waren“, erzählt Aicha. „Sie sind Freunde des Präsidenten Blaise Compaoré, aber die meisten sind jetzt in der Elfenbeinküste.“

Aichas Arbeitgeber wohnen in der Rue de l'Intégration, einer Nebenstraße der Rue de la Francophonie. Die geteerte Avenue Pascal Zagré endet abrupt auf einem Feldweg. Links stehen weitere Strohhütten in Hirsefeldern. Eselskarren ziehen Kinder und Wasserkanister. Rechts erheben sich dreistöckige Fassaden. „Hier baut das Ministerium für Städteplanung den neuen Präsidentenpalast von Burkina Faso“, steht auf einem großen Schild. Die Mauer drumherum, erfährt man, wird von der Volksrepublik China finanziert.

Auf dem Modell der Gesellschaft Ouaga 2000 ist der neue Präsidentenpalast von einem riesigen Gartengelände umgeben. Vorgesehen ist dort auch ein Sportstadium, mehrere Schulen und ein Golfplatz. Sylvain Bonkoungou, Städteplaner der Direktion des Projektes Ouaga 2000, erzählt: „Im Jahre 1994 hat der burkinische Staat zum ersten Mal 3.000 Personen umgesiedelt, aber viele wollten nicht, die sind zurück auf das Land gegangen. Dort muß die Infrastruktur der kleineren Städte verbessert werden, damit die Leute nicht alle nach Ouaga ziehen.“ Denn Ouagadougou hat große Probleme: zunehmende Kriminalität, unkontrollierbar wachsende Wellblechviertel – und zuwenig Wasser.

„1985 hatte Ouagadougou noch unter 500.000 Einwohner, heute sind es über eine Million“, sagt Bonkoungou. Das hängt mit dem starken Bevölkerungswachstum in ganz Westafrika zusammen. Die OECD-Langzeitstudie „Westafrika im Jahr 2020“ prognostiziert ein Wachstum von heute 250 Millionen Westafrikanern auf 430 Millionen im Jahre 2020. Im Jahre 1960 hatten in Westafrika 17 Städte mehr als 100.000 Einwohner – 1990 waren es bereits 90, für das Jahr 2020 sieht die Studie 300 voraus, darunter nahezu 30 Millionenstädte. Lebten 1960 noch 85 Prozent der Bevölkerung Westafrikas auf dem Land, werden 2020 voraussichtlich 60 Prozent in Städten wohnen, die Hälfte davon Kinder und Jugendliche.

Kossiam, das Dorf, das direkt neben dem neuen Präsidentenpalast in „Ouaga 2000“ liegt, existiert dann nur noch in der Erinnnerung seiner Bewohner. Jean Ilboudo ist einer der wenigen im Dorf, der außer seiner Muttersprache More auch Französisch spricht. „Irgendwann kommen sie und sagen uns, daß wir in zwei Wochen hier weg sein müssen“, meint Jean. „Das Land gehört eigentlich meinem Großvater, aber das traditionelle Bodenrecht wird nicht mehr anerkannt. Jetzt gehört das Land dem Staat, der hier Ouaga 2000 baut.“

Er erzählt von dem Gründer des Dorfes, der „damals“ aus Moronaba kam und „auszog, sein Glück zu suchen“. Hier fand er gute Erde und nannte das Dorf daher Kossiam – was in der More-Sprache „woanders die Schlauheit suchen“ bedeutet. „Dieses Glück wird bald zu Ende sein“, so Jean, denn „wenn wir hier weg müssen, können wir nichts mehr anbauen, oder wir müssen noch weiter raus aus der Stadt.“

In der Abenddämmerung Ouagadougous leuchten die Straßenlaternen des Boulevard FranceAfrique. Hier haben sich jetzt Kinder zum Lernen versammelt, da sie zu Hause keine Elektrizität – oder keine Ruhe – haben. „Ouaga 2000 soll im Jahr 2010 fertig sein“, hatte Sylvain Bonkoungou erklärt. Aicha hofft lieber, „daß es bald auch bei mir zu Hause fließendes Wasser geben wird“.