: „Im Osten gibt's eine Sehnsucht nach Führung“
■ Hans-Joachim Maaz, Psychotherapeut in Halle, bekanntgeworden durch das Buch „Der Gefühlsstau“, über dumpfen Protest und den Wahlerfolg der rechtsextremen DVU in Sachsen-Anhalt
taz: 32 Prozent der 18- bis 25jährigen Männer in Sachsen- Anhalt wählten DVU. Solch eine Dominanz rechtsextremer Parteien bei Jungwählern gab es noch nie. Wie erklären Sie sich das?
Hans-Joachim Maaz: Zum einen durch die soziale Krise, die vor allem die jungen Leute trifft. Sie glauben nicht mehr, daß die Zukunft irgend etwas bringt. Die westlichen Werte – Wohlstand und Karriere – erscheinen im Osten überhaupt nicht mehr attraktiv, weil die Menschen systematisch enttäuscht wurden. Das war 1990/91 noch anders. Zum anderen hat es im Osten eine offensive Auseinandersetzung mit den Eltern und mit „Vater Staat“ wie 1968 im Westen nie gegeben. 1989 ist die kritische Anfrage der Jungen an die Alten steckengeblieben.
Was hat das für Folgen?
Die jungen Menschen befinden sich im Zustand des Gefühlsstaus: aufgestaute Aggressivität als Folge von individuell erfahrener Unterdrückung und Verletzung. Diese Verletzungen haben sich nirgendwo Luft machen können.
Wie kommt es, daß vor allem junge Männer so reagieren? Ihre biographische Gemeinsamkeit besteht ja darin, daß sie kurz vor oder genau in ihrer Pubertät die Wende erlebt haben und damit einen massiven Identitätsbruch.
Bis zur Pubertät galt für sie in vielem das Gegenteil von dem, was heute gilt. Die jungen Leute haben keine kreative, sublimierte Form gefunden, ihre Verunsicherung und ihre Aggressionen abzureagieren. Also bleibt dumpfer Protest und Gewaltbereitschaft.
Meine These ist: Seit der Wende muß die Innenkontrolle die Außenkontrolle ersetzen. Ein autoritärer Staat arbeitet mit äußeren sozialen Zwängen, im jetzigen System muß das Individuum sich selber steuern. Für Heranwachsende scheint diese Umorientierung sehr schwierig zu sein.
Das stimmt. Und weil die Innenkontrolle so schwierig ist, entsteht eine große Sehnsucht nach Führung. Das geht von politisch radikalen Gruppen bis hin zu Sekten. Da ist ein riesiges Vakuum entstanden. Die Sehnsucht nach Führung ist zugleich immer mit dem Protest gegen Führung verbunden, man versucht, durch Meckern den Gefühlsstau abtröpfeln zu lassen. Aber der Wunsch nach Unterordnung ist ungebrochen.
Das erklärt noch nicht, warum die Revolte heute zwangsläufig autoritär daherkommt.
Der Autoritarismus ist im Osten sehr weit und sehr tief verbreitet und hat hier seine spezifische Ausformung. Dazu gehören ganz hoch dotiert die sogenannten Sekundärtugenden: Ordnung, Sauberkeit, Disziplin, Gehorsam. Die kommen vor allem bei den jungen Männern immer noch sehr stark an. Wenn sie eine Gemeinschaft finden, in der Ordnung, Sauberkeit, Korrektheit in militantem Sinne hochgehalten werden, fühlen sie sich zu Hause. Das haben sie sie schon als Kind gelernt. Alles andere bewirkt seelische Labilisierung.
Hat die Vereinigung das verschärft?
Ja, dadurch, daß der Westen so vormundschaftlich aufgetreten ist. Im Westen gab es keinerlei Verständnis dafür, daß gerade hier ein großer Entwicklungsbedarf ist. Die Tragik ist, daß der Westen durch sein Verhalten den Autoritarismus fortgesetzt hat.
Ist es da nicht paradox, daß Menschen, die dem Westen eins draufgeben wollen, ein Westpartei wie die DVU wählen?
Paradox, aber wirksam. Offensichtlich ist da ein Nerv getroffen worden. Ich habe DVU-Wähler kennengelernt, einfache, zum Teil dumpfe Leute, die dem Westen einfach nur einen Denkzettel verpassen wollten. Die sagen jetzt: Na, hat doch wunderbar geklappt! Noch nie haben wir soviel Aufsehen erregt. Man muß versuchen zu verstehen, was mit diesen Leuten ist. Genauso wie bei verhaltensgestörten Kindern.
Aber damit bleibt man im paternalistischen Muster verfangen.
In meinen Augen darf man über rechtsextreme Positionen nicht ernsthaft politisch diskutieren. Aber man muß die Motive der Wähler und Sympathisanten verstehen lernen. Mit denen muß unbedingt kommuniziert werden. Es muß übersetzt werden, was diese Stimmabgabe eigentlich meint.
Haben Sie DVU-Sympathisanten in Ihrer Praxis?
Ja. Aber wer zu uns kommt, ist bereits offen dafür, zu erkennen, daß die Wut von innen kommt und eigentlich die Eltern meint und nicht Ausländer.
Man kann ja nun schlecht jeden Rechten auf die Couch legen.
Deswegen bin ich überzeugt davon, daß wir eine zunehmende Radikalisierung erleben werden. Es gibt nur zwei andere Möglichkeiten: Entweder der fortgesetzte Wohlstand, das ist im Osten aber nicht mehr realistisch, oder eine andere Politik mit gemeinschaftlichen Werten der Solidarität und Verbundenheit.
Woher soll sie kommen?
Deswegen bin ich ja auch nicht sehr hoffnungsvoll. Meine berufliche Erfahrung ist die: Es muß erst ganz schlimm kommen, bis die Menschen bereit sind, sich zu öffnen. In der Gesellschaft werden alle Krisen auch nur symptomatisch und mit Phrasen behandelt.
Man könnte also sagen: Das Wahlergebnis hatte auch sein Gutes. Endlich ist das alles mal ungeschminkt zu Tage getreten.
Diese Position vertrete ich auch. Ich bin nicht so erschrocken, weil ich das vorausgesehen habe. Ich möchte den Politikern zurufen: Jetzt liegt es endlich offen da! Deshalb bin ich heftig dagegen, daß das jetzt so abgetan wird. Kohl hat getönt, für das Bundesgebiet bestehe nicht die Spur einer Gefahr. Das ist eine völlige Ignoranz gegenüber dem, was hier läuft. Interview: Ute Scheub
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