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Die Verlorene Stadt: Urlaub im Urland

Die Kunstlandschaft Lost City in Südafrika bietet das Gefühl der Geborgenheit in protohumaner Zeit  ■ Von Stefan Schomann

Schlag zwölf und unter unheilvollem Trommeln naht: die Apokalypse. Schwefeldampf zischt aus den Felsspalten, ein Poltern wie von zwanzig Kegelbahnen dröhnt in der Tiefe, und mitsamt den Schaulustigen erzittert die vorgeblich steinerne „Brücke über die Zeit“. Die Frauen quietschen, die Männer greifen ans Geländer, Dutzende Kameras schnappen zu. Der auf Gumminoppen gelagerte Steg wackelt sachte. Das war's. Nächster Weltuntergang in einer Stunde.

Ein Erdbeben als Glockenspiel. In Sun City rangiert das unter Abenteuer – ein Wort, das in „Afrikas Königreich des Vergnügens“ freigebig gebraucht wird. Die Brücke verbindet die seit 1978 gewachsene Sonnenstadt mit der vor vier Jahren eröffneten Phantasiewelt von Lost City. An den Hängen eines verwitterten Vulkans rankt hier, in staubtrockenem Hochland, „Regenwald“ empor, rauschen Wasserspiele, verbergen sich nagelneue Ruinen. Eine steingewordene Vision verbarrikadiert den Blick zum Himmel: der Palast. Für Surie Sharma „bestimmt das beste Hotel der Welt“. Der Autohändler aus Johannesburg erfüllt sich und seiner Frau den Traum von einer Nacht im Palace. „Mit der Anfahrt“, flötet die zierliche Vibah, „beginnt die Erholung – du kannst die Fenster runterkurbeln.“ Der Kontrast zwischen der von brutaler Kriminalität heimgesuchten Millionenstadt und der Spaß- Oase ist gewaltig. Einmal dem Betondschungel entronnen, durchzieht die Straße leeres Buschland. Vereinzelt armselige Wellblechsiedlungen, ein toter Esel auf kahlgeweidetem Boden. Unvermittelt dann das Tor zum Paradies: eine zehnspurige, bunt blinkende Abfertigungsanlage.

Sie demonstriert Sicherheit. Schon der kleine Wegzoll für Tagesbesucher hält unerwünschte Habenichtse fern. Ein hoher Zaun umschließt unsichtbar das Areal, Patrouillen gehen Streife. Nur registrierte Gäste wiederum dringen bis zum Palace vor. Der khakifarbene Komplex vereinigt die Dekadenz eines Maharadschasitzes mit dem Bombast faschistischer Einschüchterungsarchitektur. Die Foyertür ragt acht Meter auf, die Kuppel fünfundzwanzig. Jede Zinne ein Turm, jeder Stuhl ein Thron. Ein Deko-Dschungel durchwuchert alle Räume, bevölkert von abertausend Tierplastiken und mit Ornamenten als Lianen. Noch die Gullys buhlen mit ihren Farnmustern um Aufmerksamkeit.

In den Hallen Stoßzahn-Gotik. Kaufhausmusik und Brunnengeplätscher. Im klobigen Inventar der 338 Zimmer setzt sich die Ausstattungsorgie fort. Surie erklärt, er könne ein Leben lang hier wohnen. Der Balkon gewährt einen königlichen Blick über den Park. Dreiunddreißig Wasserfälle rauschen ohne Unterlaß.

Dies Weltwunder erdachte und erschuf: Solomon Kerzner. Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Rußland wuchs in einer ärmlichen Vorstadt auf, half in der elterlichen Herberge mit, die Palace hieß. Er wurde einer der erfolgreichsten Unternehmer des Landes. So machte er einen Mythos wahr, der, anders als die vornehmlich von Weißen genährte Legende von der Vergessenen Stadt in der Wüste, tatsächlich in ganz Afrika geläufig ist: der märchenhafte Reichtum König Salomons.

Sun City war Kerzners Gelobtes Land; eine utopische Exklave auch im Apartheid-Staat. Im damaligen Homeland Bophuthatswana errichtet, fielen umsatzschädigende Rassenschranken weg. Wegen des allein dort erlaubten Glücksspiels, der Oben-ohne-Revue und der gelegentlich schwarz/weiß belegten Doppelzimmer wurde es als Sin City apostrophiert, als Sündenstadt. In den Achtzigern folgte der Ausbau zum „größten Kongreßzentrum der südlichen Hemisphäre“. Heimische Bergbaufirmen oder deutsche Pharmakonzerne mieteten ganze Hotelflügel, um Mitarbeiter für ihre Tüchtigkeit zu belohnen.

Erlebnisferien hieß die Zauberformel der Neunziger. Weg vom – ohnehin blendend weiterlaufenden – Casinorummel, hin zum Familienspaß. Nach der Wende in Südafrika wird nun auch internationales Publikum massiv umworben. Mehr als die Hälfte der Palace-Gäste kommt aus dem Ausland, die Selektion geschieht über den Preis – eine Übernachtung kostet hier den Monatsverdienst eines Gärtners. Den Park dagegen kann jeder gegen Eintritt nutzen, kann im Wellenbad planschen, die Wasserrutschen „Viper“ und „Mambo“ probieren, über labyrinthische Pfade zu Sumpfteichen mit Gipskrokodilen wandeln. Für die kommende Dekade hegt man noch nie dagewesene, völlig revolutionäre Pläne. Ein Wort nur: Kultur!

Im Palmenschatten lagert Dr. Usman Okabane mit Familie. Seine Frau trägt Kopftuch und knöchellangen Kaftan, die fünf Kinder zwischen sechs und sechzehn allesamt Schwimmwesten. Okabane, Beamter im nigerianischen Verkehrsministerium, wohnt lieber im Sun City Hotel als im Palace. „Zu kalt, zu übertrieben“ scheint ihm dessen Einrichtung. „Das hat mit Afrika nicht viel zu tun. Ist mir auch gleich, wir wollen einen ruhigen Urlaub, Abwechslung für die Kinder, aus.“ Als Muslim mißbilligt er Glücksspiele und lose Sitten, doch folgt auch er dem Motto des imaginären Königreichs, das in roter Laufschrift durch die Empfangshalle zieht: „Remember to have fun!“ Die manische Opulenz des Palace stimmt seine Gäste seltsam müde. In nilpferdhafter Langsamkeit wechseln sie bis zu drei Wochen lang zwischen Buffet, Pool und Bett. Dem Zeitalter des Ferntourismus und der „global attractions“ entspricht ein neuer Menschenschlag, der Weltspießbürger. Ob aus Chicago, Osaka oder Quakenbrück, reist er zu Orten, an denen ihm sogar das Träumen abgenommen wird. Geredet wird, wenn überhaupt, über den Golfplatz. Andere zeigen sich dagegen völlig immun: Nach kurzer Inspektion macht der Lufthansa-Pilot kehrt: „Dafür ist mir meine Zeit zu schade“ – er wohnt lieber im nahen Safaricamp, mit Blick aufs wahre Afrika. Dort, im Nationalpark Pilanesberg, wird das Ereignis Tier vermarktet. Als sich Viehzucht nicht mehr lohnte, wurde ein elektrischer Zaun um die andere Hälfte des Vulkans gezogen und Elefanten, Löwen, Nashörner hineingesetzt. Den Ausflüglern aus Sun City dämmert, daß ihr Park dasselbe in Grün ist: ein Menschenfreigehege.

Während sie dessen Zementfelsen für authentisch halten, wirken die draußen wie aus Pappmaché. Und welche Kreatur wäre unglaubwürdiger als eine Giraffe? Nach zwei Tagen in Lost City sieht schließlich auch das Echte täuschend falsch aus. Doch nicht die Natur gab hier das Vorbild ab, sondern Hollywood. Das Fabelland wurde maßgeblich von kalifornischen Architekten und Designern konstruiert. Sie versammelten soviel Exotik wie möglich, mischten wahllos australische Schwäne und Orchideen aus Costa Rica hinein. Ein Afrika so voller Klischees, daß Disney dort prompt eine Tarzan- Serie drehte. So unwiderstehlich, daß seit der Eröffnung Lost Citys die Zahl der Besucher von jährlich zwei auf drei Millionen stieg. Ein Welterfolg, der sich durch noch so schöne Wasserrutschen allein nicht erklären läßt. Die wahren Gründe liegen ein paar Millionen Jahre zurück.

Gut hundert Kilometer entfernt wellt sich goldblondes Hügelland, in dem es einst genauso aussah: entlang der Wasserläufe Tropenwald, dazwischen wildreiche Savanne. Dort wurden seit den dreißiger Jahren Knochen gefunden, die die Anthropologie revolutionierten. Höhlen bargen die Überreste eines zweibeinigen Zwischenwesens, das nicht mehr Affe war und noch nicht Mensch: Australopithecus africanus. Vor drei Millionen Jahren wurden diese Tarzans von prähistorischen Superleoparden in die Felslöcher verschleppt. Lost City ist die Attrappe unserer Urlandschaft. Ein archetypischer Lebensraum, der jene Requisiten enthält, die etwa auch Kindern in den Sinn kommen, wenn sie den Garten Eden malen: Wasserloch und Wasserfall, Vulkankegel, Steppengras und Waldessaum. Der Fetischismus für die Megafauna speist sich aus Zeiten, als die Gattung Homo noch nicht vollends vom Tierreich geschieden war. Grillplätze und Fackelalleen feiern die Domestizierung des Feuers. Die großflächig ausgelegten Teppichflore vermitteln ein ähnliches Laufgefühl wie Savannenboden. In den Casinohöhlen wird – in perfekter Doppelbedeutung des englischen Game, Spiel und Wild – ein Hauptgewinn durch Raubkatzengebrüll angezeigt. Bingo: Es klingelt was im kollektiven Unbewußten.

Abenteuer – das meint die Nostalgie nach dem wilden Leben. Sie wird in solchen Erlebnisparks zugleich verheißen und verhindert. Sie bieten Naturgenuß für Biophobe, die sich aus dem Kunstwald jederzeit in klimatisierte Schutzräume zurückziehen und mit anti- allergener Seife waschen können. Echt aber wäre nur, was fremd, womöglich gar gefährlich bliebe.

Manchmal geschieht dennoch Unerhörtes. Neulich gab es Streik im Paradies. Einen „Grashüpfer- Streik“, bei dem das Personal abrupt auf die Straße und dann wieder an die Arbeit ging. Den Gästen blieb ihr Müll erhalten, im Kristallhof rannte das Management durcheinander, um wenigstens ein „Streikbuffet“ bereitzustellen. Draußen zogen Zimmermädchen, Kellner und Küchengehilfinnen wie Sternsinger von einem Foyer zum nächsten und wedelten mit Pappkartons, die Losungen trugen wie „Yes 280 No 220“ oder „Forward to working-class power!“ Sie sangen, klatschten, schnatterten und tanzten, ihre Gesichter, sonst Masken des Unbehagens, lebten auf im gemeinschaftlichen Happening.

Als sich ihnen auch die Wachmänner anschlossen, war dem gemeinen Volk Tür und Tor geöffnet. Touristen aus den Niederungen von Sun City schlichen sprachlos durch die Hallen. Palastrevolution. Während die meisten Gäste sich an der streikenden schwarzen Masse vorbeistahlen, Kinder und Handtaschen an sich gedrückt, sprang eine blonde Amerikanerin ins Gewühl und rief: „I love it!“ Lost City war um eine Sensation reicher: das Abenteuer Wirklichkeit.

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