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Ticks prägen offizielle Euro-Kür

Bekannter Zündstoff auf dem Euro-Gipfel der Staatschefs: Frankreich ist die Währungsunion schon viel zu deutsch, Deutschland will sie superstabil  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Bundeskanzler Helmut Kohl hat dieses Wochenende bereits als „Jahrhundertereignis“ in die Geschichte eingeordnet. Doch der Champagner muß warten. Vor dem Start in den Euro müssen die europäischen Regierungschefs erst noch den Haussegen gerade hängen. Denn seit Monaten streiten sie wie die Kesselflicker, wer denn nun die neue Währung managen soll.

Dabei sind sich zehn der voraussichtlich elf Euro-Staaten einig, daß der Holländer Wim Duisenberg der Beste für den Präsidentenposten der Europäischen Zentralbank (EZB) wäre. Aber Paris hat mit dem französischen Notenbankchef Jean-Claude Trichet einen eigenen Kandidaten in den Ring gestellt und will nicht nachgeben. Für Frankreich ist die Währungsunion schon viel zu deutsch geraten, und Duisenberg gilt als großer Fan der Deutschen Bundesbank. Alle Versuche, Paris mit Geschenken zu versöhnen, wurden bisher schnöde zurückgewiesen.

Unter der Hand wird für den Notfall bereits die finnische Notenbankchefin Sirkka Hämäläinen als Kompromißkandidatin gehandelt. Aber weil das nach zweiter Wahl riecht und die Regierungschefs wenig Lust auf bissige Kommentare haben, hoffen sie noch auf ein Einlenken Frankreichs in letzter Minute. Ein Franzose auf dem Chefsessel der Europäischen Wiederaufbaubank in London sei doch auch ganz nett, heißt es, und auch über eine feste Zusage für die Nachfolge von Duisenberg bei der EZB könne man reden.

Nur eine Teilung der achtjährigen Amtszeit in eine Duisenberg- und eine Trichet-Periode gehe nicht, stellt Bonn seit Monaten fast täglich klar. Das widerspreche dem Maastrichter Vertrag und den guten Sitten. Allerdings will auch Finanzminister Theo Waigel nicht ausschließen, daß Duisenberg nach vier Jahren keine Lust mehr hat und nur noch Golf spielen will. Das Problem ist nur: Niemand kann das offiziell zusagen, und ohne verbindliches Ja kann Jacques Chirac seinen Franzosen nicht erklären, warum er jetzt doch Duisenberg akzeptiert hat. Ohnehin gilt Chirac als unberechenbar und immer für eine Überraschung gut.

Aber nicht nur der französische Präsident, auch der deutsche Finanzminister sorgt für Zündstoff. Er will zum beschlossenen Stabilitätspakt, dessen Prinzipien schon vom 1. Juli diesen Jahres an gelten sollen, zusätzlich noch einen Superstabilitätspakt durchsetzen. Hochverschuldete Länder wie Belgien und Italien sollen sich darin unter anderem verpflichten, jeden flüssigen Euro sofort und ausschließlich in den Schuldenabbau zu stecken. Außerdem sollen die Finanzminister laufend die Haushaltspläne kontrollieren dürfen. Das geht nicht nur Belgien und Italien, sondern auch Frankreich zu weit. Gesucht werden also hübsch umständliche Formulierungen, die den Regierungen die Luft zum Atmen lassen, aber gleichzeitig so aussehen, als hätte sich Waigel durchgesetzt. Denn alle wissen, daß der Bayer zu Hause einen Wahlkampf und den Edmund Stoiber im Genick hat und deshalb nur als Superstabilitätsminister heimkommen darf.

Das Ergebnis könnte dann etwa so aussehen wie in dem vom EU- Währungsausschuß ausgearbeiteten Entwurf, der am Abend Diskussionsgrundlage sein sollte. Statt von einer zwingenden Verpflichtung, alle Überschüsse für die Schuldentilgung aufzuwenden, ist darin von einer Soll-Bestimmung die Rede.

Nebenbei werden die Staats- und Regierungschefs heute in Brüssel auch noch entscheiden, wer überhaupt mitmachen darf bei der Euro-Einführung. Die Überraschung wird sich in Grenzen halten, weil die Europäische Kommission, das Europäische Währungsinstitut, das Europaparlament und auch die Finanzminister ziemlich eindeutige Empfehlungen abgegeben haben: Deutschland und Frankreich werden dabeisein, die Niederlande, Luxemburg, Spanien, Portugal, Irland und Finnland. Wegen der hohen Staatsverschuldung von Belgien und Italien wird vor allem in Deutschland sorgenvoll die Stirn gerunzelt, obwohl klar war, daß eine Währungsunion schon aus politischen Gründen ohne die beiden Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaft kaum vorstellbar ist. Aber irgendwie glauben deutsche Politiker, den Deutschen falle der Abschied von der Mark leichter, wenn den Ausländern vorher die Leviten gelesen würden.

Ohne Nicklichkeiten wird es deshalb nicht abgehen. Aber wenn der Champagner dann erst einmal eingeschenkt ist, werden doch alle auf die gemeinsame Zukunft anstoßen. Man kennt sich ja inzwischen im Kreis der Finanzminister und Regierungschefs, da werden den Franzosen und den Deutschen ihre Ticks nicht wirklich übelgenommen.

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