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Das Modell „Think-tank“

■ „Wochen Klausur“ will in Kreuzberg durch Kunst Arbeit schaffen

Gibt es so etwas wie eine Kultur der Arbeitslosigkeit? In Berlin lautet die Antwort eindeutig Ja. Seit Schlingensief sich mit Chance 2000 darum bemüht, denen, die ins soziale Abseits geraten, ein Podium, ach was, eine Bühne zu geben, boomt der Markt in Sachen Arbeitslosigkeit, Folgen und vor allem Perspektiven. Vom Sozial-Happening bis zum work in progress schwirrt das Thema durch den Kulturbetrieb. Jetzt hat sich eine Künstlergruppe namens „Wochen Klausur“ in Kreuzberg der Aufgabe gestellt: Arbeit schaffen.

Die Berliner und Wiener AktivistInnen verstehen ihr Projekt als Initiative, die „in gesellschaftliche Strukturen“ eingreift. Seit 1993 wird „interveniert“ – auf Einladung lokaler Kunstvereine: Für die Wiener Secession beschäftigte man sich mit Obdachlosen und schlug nach elf Wochen Feldstudium vor, die medizinische Versorgung der Betroffenen sicherzustellen. Ein Kleinbus wurde angeschafft, mit dem sich monatlich 600 obdachlose Patienten betreuen lassen. Nach Beendigung des Projekts hat die Stadt Wien die Arztkosten übernommen, um die Betriebskosten kümmert sich die Caritas. In Graz wurde nach legalen Erwerbsmöglichkeiten für Flüchtlinge gesucht, beim „festival der regionen“ in Oberösterreich mündete die Intervention in ein Gemeindeprogramm, mit Seniorenbetreuung und einer Skateboardrampe für die Kids. Und nun also Berlin-Kreuzberg, ein Bezirk mit immerhin an die 25.000 Arbeitslosen. Was sollte Kunst bei einer Größenordnung, vor der selbst dem Bürgermeister mulmig wird, ausrichten können?

Tatsächlich gestaltet sich der Umgang mit Massenarbeitslosigkeit viel komplizierter als die Behebung von Mängeln in einer sozialen Nische. Weil die Parameter völlig andere sind, genügt es natürlich nicht, an den Gemeinsinn zu appellieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dennoch verlief der Eingriff von „Wochen Klausur“ wie bei vorhergegangenen Projekten: Menschen ohne Arbeit wurden befragt und Entscheidungsträger konsultiert; man baute sich ein Büro im Kunstamt Kreuzberg auf, und man sammelte Zeitungsartikel zum Thema. Aufgaben, wie sie auch beim DGB oder auf dem Arbeitsamt anfallen. Nur eben in anderen Dimensionen – für die 60 Gespräche, die von der Künstlergruppe in den letzten acht Wochen geführt wurden, ist sonst ein einziger Sachbearbeiter zuständig. An einem Tag. Eine Galerie mit Porträt-Fotos aus dem Kiez wirkt unter diesen Umständen mehr wie eine Verlegenheitslösung, die ausliegenden Flyer kennt man von den Erwerbslosen-Demos.

Trotzdem gibt es auch für die aussichtslose Lage in Kreuzberg ein Ergebnis. Aufgrund der Umfragen soll nun eine Anlaufstelle für Arbeitslose eingerichtet werden, denn nichts ist so wichtig wie Kommunikation. Außerdem bekommt der Bezirk einen „Think- tank“, wo sich Manager, Soziologen und eben Arbeitslose darüber Gedanken machen können, wie man eventuell neue Berufsfelder findet. Doch auch dies ist nur ein Angebot an die Stadt, für das noch Träger gesucht werden.

Mehr Erfolg hatten dagegen öffentliche Diskussionsrunden. Vor zwei Wochen trafen sich VertreterInnen aus Förderverbänden, um über „innovative Ansätze in der Praxis“ zu reden. Dort erfuhr man, daß im Norden Berlins eine ehemalige LPG von Blümchen für die Partei auf die Zucht von genetisch manipulierten Nutzplanzen umgesattelt hat. 30 „Niedriglohnarbeitsplätze“ sind damit gesichert, solange nicht ein anderer noch billiger züchtet. Letzte Woche kamen dann Erwerbslosenorganisationen zu Wort, die vor allem die traurige soziale Situation beklagten und forderten, daß man sich stärker auf den Demos einbringen müsse. An wachsende Arbeitsmärkte mochte hier niemand mehr glauben, nur an neue, „kreative“ Formen des Protests. Aber das war ja gar nicht Ziel der „Intervention“ gewesen. Harald Fricke

Heute findet um 19 Uhr eine Abschlußdiskussion zur „Zukunft der Arbeit“ statt (Kunstamt Kreuzberg, Mariannenplatz 2)

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