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Nigerias Bürger wählen Protest statt Parteipolitik

■ Nigerias Opposition im Aufwind: Auf einen erfolgreichen Wahlboykott folgen große Mai-Demonstrationen gegen das Militärregime. Sieben Tote bei Unruhen in der Stadt Ibadan

Lagos/Berlin (taz) – Mindestens sieben Tote und zahlreiche Verletzte sind die Bilanz des Protesttages in Nigeria, den Oppositionsgruppen für den 1. Mai ausgerufen hatten. Die sieben Todesopfer gab es in der südwestlichen Stadt Ibadan, wo etwa 10.000 Menschen gegen Militärdiktator Sani Abacha auf die Straße gingen. Die Polizei eröffnete das Feuer, als einige der Demonstranten Gebäude anzündeten, darunter die Büros der regierungstreuen Zeitung Monitor. Wale Ademowo von der Zeitung Tribune sagte, die Gewalt sei zum Teil von Kindern ausgegangen, manche bloß neun Jahre alt.

Das Oppositionsbündnis „United Action for Democracy“ (UAD) hatte anläßlich des 1. Mai in sechs Städten zu „Aktionen zur Unterstützung von Nigerias Arbeitern“ aufgerufen. Die Protestaktion folgte auf den erfolgreichen Oppositionsboykott der Parlamentswahl vom 26. April. Dies wird von der Opposition als „gelbe Karte“ für Abacha eingeschätzt.

Amtliche Zahlen oder gar ein Wahlergebnis gibt es noch nicht, aber sogar ein Mitglied der staatlichen Wahlkommission spricht von einer Wahlbeteiligung von unter zehn Prozent. In Nigerias größter Stadt Lagos wird die Wahlbeteiligung auf sieben Prozent geschätzt. Im Nigerdelta, dem unruhigen Ölfördergebiet, registrierten 25 Wahlbüros eine halbe Stunde vor Schließung der Wahllokale keinen einzigen Wähler.

Auf den Straßen von Lagos gab es mehr fußballspielende Straßenkinder als Wahlwillige. „Die Politiker und Abacha sind damit beschäftigt, sich zu bereichern“, sagte der Fußballer Oladipo Ojo. „Ich bin dabei, so gut zu werden wie Kanu (Nigerias bekanntester Fußballstar, d. Red). Dann kann ich auch reich werden. Wählen? Vergiß es!“

Am Wahltag fehlten vielerorts die Wahlunterlagen, so daß Wahlbüros manchmal erst gegen elf Uhr statt acht Uhr öffneten. In manchen ländlichen Gegenden wurden Bauern angegriffen, die auf ihre Felder gingen statt zu den Wahllokalen. Im unruhigen Muslimviertel von Lagos stürmten am Tag nach der Wahl Jugendliche das Büro der Wahlkommission und zerstörten Wahlunterlagen. Vier Wahlbeamte wurden schwer verletzt.

Hauptgrund für die Wahlunlust war wohl, daß eine Woche vor der Parlamentswahl alle fünf zugelassenen Parteien sich für General Abacha als ihren Präsidentschaftskandidaten ausgesprochen hatten, so daß es eigentlich keine Auswahl mehr gab. Parteienvertreter kritisierten, daß die Wahlkommission noch am Tag vor der Wahl einzelne Kandidaten disqualifizierte. Die Wahlkommission wiederum meinte, die niedrige Beteiligung beweise, wie wenig öffentlichen Rückhalt die Parteien haben.

Der Verlauf der Parlamentswahl ist somit eine Bestätigung für die Opposition, die das von Abacha geschaffene politische System ablehnt. Ein weiterer Mobilisierungsgrund für Regimegegner sind die Todesurteile, die am vergangenen Dienstag gegen fünf hohe Militärs gefällt wurden. General Oladipo Diya, einst die Nummer zwei des Militärregimes, wurde zusammen mit seinem Sicherheitschef Major Olusegun Fadipe, dem ehemaligen Informationsminister General Tajudeen Olanrewaju, dessen Assistent Oberstleutnant Akiode, dem ehemaligen Wohnungsbauminister General Abdulkarim Adisa und dem Telefoningenieur Adebola Adebanjo des Hochverrats schuldig befunden; sie sollen hingerichtet werden. Vier weitere Angeklagte erhielten lebenslange Haftstrafen. Vierzehn wurden freigesprochen.

Die Abschlußsitzung des Sondergerichts unter Leitung des ehemaligen Kommandanten der nigerianischen Eingreiftruppe in Liberia, General Victor Malu, fand in der Rubuka-Kaserne der nordnigerianischen Stadt Jos statt und dauerte nur 20 Minuten. Diya und die Mitangeklagten waren am 20. Dezember unter dem Vorwurf verhaftet worden, gegen Abacha putschen zu wollen. Zu seiner Verteidigung hatte Diya bei Prozeßeröffnung gesagt, der Stabschef der Armee, Generalmajor Ishaya Bamaiyi, habe ihn angestiftet.

Das Tribunal wich Diyas Vorwurf aus. „Das Tribunal stellt fest, daß niemand der Anstiftung eines Putschversuchs beschuldigt worden ist und daß es daher nicht nötig war, zu untersuchen, wer den Putschversuch anstiftete“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die von Diya Beschuldigten hätten ihre Arbeit im Dienste der Regierung getan: „Wenn ein Hüter des Gesetzes oder sein Agent bewußt eine Handlung ausführt, die in der Verschleierung oder der Hinnahme einer Straftat besteht, verdient er es nicht, dafür beschuldigt zu werden, wenn sein einziger Zweck war, den Haupttäter dingfest zu machen, und wenn er zu diesem Zweck von der Regierung angestellt war.“

Wie im Falle des 1995 hingerichteten Schriftstellers Ken Saro- Wiwa müssen die Urteile noch von der Militärjunta bestätigt werden, was als sicher gilt. Auch die Freilassung der Verurteilten gehörte zu den Forderungen, die bei den Mai- Kundgebungen laut wurden. Kofi Mensah, Dominic Johnson

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