piwik no script img

„Pro musica nova“goes Pop: Auf dem Festival gab es nicht nur viel Technik, sondern auch ein bißchen Techno

Auch einige darmstadt- und donaueschingen-inkompatible Künstler reisten zum Festival an. Teils kamen diese von der Bildenden Kunst her, teils von Informatik und Produktdesign. Und manche konnten erstklassige Credits aus dem Independentpop vorweisen. Aus Amiland etwa Jim O'Rourke, der schon mit der legendären noise band Sonic Youth, mit Red Krayola, Faust und U.S.Maple zusammen tobte und lärmte. In der Galerie Rabus betätigte er sich als lethargischer Pförtner und interesseloser Beobachter. Mit stiller Verschmitzheit hielt er dem Gast einen Text unter die Nase, der postmodern witzelte über die fällige Rückkehr zu verstaubten 80er-Jahre-Installationen. Erwartet bittebitte hier nichts Neues oder Aufregendes, verkündete dieser Gestus. Doch unter dem demütig-vorsichtigen Titel „Excuse me“verbarg sich eine kluge Versuchsanordnung: 16 CD-Player und ein Mischpult luden zur Selbstbedienung ein. Was nun? Die Menschen stürzten zu den Playern und erkundeten mit großer, neugieriger Kinderspielplatz-Knobellaune „das System“. Aha, die CD's sind zumeist selbstgebrannt; und alle CD-Player gehen auch wirklich ins Mischpult.

Dann ging es ums Eigentliche: Die Suche nach der eigenen Stimme im 16-stimmigen Klangtohuwabohu. Das Mittel: wildes Fuchteln an den Reglern, nach dem Motto, wenn sich klanglich was tut, muß das ich sein. Nur dumm, daß die anderen auch fuchtelten. Hatte der Player endlich seine Klangspur identifiziert, wurde sie garantiert von einem Menschen am Regler wieder weggedreht. Eine wunderbare Allegorie für die gegenseitige Blockade verschiedener Egoismen; nichts weniger als eine Widerlegung von Adam Smiths Lob des Eigennutzes. Was entsteht, wenn 16 Spieler und eine Handvoll Regler sich selbst verwirklichen wollen? Matsch.

Der allerdings klumpte und glitschte hochinteressant. Das fanden offenbar auch diejenigen Gästen, die sich bald für ein passives Lauschen entschieden. Andere benutzten die Szenerie zum Kennenlernen von Leuten – und zum Diskutieren über Interaktivität. Der nette Andres Bosshard von Carstensens Straßenbahnmusik erzählte zum Beispiel Interessantes von seinem neuen Projekt an Schweizer, Hannoverschen und Kölner Schulen: Um den Dschungel der disfunktionalen, verstaubten, widerlichen Alltagsgeräusche ein wenig zu lichten, ließ er Schüler das Pausenbimmeln nach eigener Lust und Laune per PC gestalten. Hören, Sprechen, Werkeln: Bei so viel unterschiedlichen Rezeptionsmöglichkeiten „excused“man Jim O'Rourke gerne!

Im 2. Stock der Weserburg gab's das gleiche. Aber ganz anders. Auch dort konnten bis zu 12 Personen ein Technostück zusammenbasteln. Doch die Anordnung war so benutzerfreundlich und übersichtlich wie in einem Technikmuseum. Schnell konnte herausgefunden werden, welcher Knopf welches Rhythmusmuster auslöst bzw. verändert. Mit der Systematik einer Schulfunksendung wurde so auf musterhafte Weise vermittelt, wie logisch und klar ein DJ seinen Sound schichtweise baut und wie komplex und raffiniert die vermeintlich schwachsinnige Technomusik ist. Vor allem aber lernt man Hinhören.

Nach diesen zwei interessanten Projekten gab's auch tolle Technomusik. Unter Verwendung von fünf vorsintflutlichen, liebenswerten Plattenspieler-Veteranen und Werkzeugen, welche die Plattenspielertonarme loupartig auf einer Rille fixierten, entlockte Claus von Bebbern höchst irdischer (bisweilen auch übler) U-Musik (alles von Abba bis Herbie Hancock) sphärische Klänge. Man hört Walzwerke zäh arbeiten, Wasser in Tropfsteinhöhlen glucksen, Stahlwände rumoren, Scotty auf Raumschiff Enterprise beamen, Aliens nahen und das dämonische Heizungssystem von Lynchs „Eraserhead“hallen. „Bei ganz vielen Leuten löst diese Musik cineastische Assoziationen aus“, meint Bebber. Strukturell liegt er nahe bei Strawinsky, zu dieser Aussage gab Bebber sein Placet. Denn hauptsächlich geht es um Motorik – und ihre Vernichtung. Rhythmusmuster tauchen auf, werden von querständigen Rhythmen ergänzt, überlagert oder ausgelöscht. Der Fuß darf wippen, aber nur für Sekunden. Kommt Posaunist Paul Hubweber dazu, wird das Dehnen und Schrumpfen, Anreichern und Ausdünnen von Klangräumen wichtiger. Unglaublich, wieviele Seelen in einer Instrumentenbrust schlummern können. Ein windiger Plastikbecher macht aus der Posaune eine Kreissäge: Wunderbarer Widerspruch zwischen Ursache und Wirkung. Und noch der letzten Hauch von einem Nachhall wird mit wedelndem Dämpfer gestaltet, zum Zittern gebracht. Subtil und intelligent wie E-Musik, körperlich und deftig wie U-Musik: endlich die Synthese.

Axel und Detlev Kleptsch präsentierten sich in einem mitternächtlichen Konzert wie späte Nachfahren von Kraftwerk. Kühl designt waren die Klamotten, aber auch die Gesichter, Ausstrahlung, Musik und Videobild. Nur nicht zu viel! So geben 12 Videosäulen von antiker Schönheit exakt das Videobeamerbild wieder. Unter hochästhätischer Monochromie ziehen darüberkopierte Bilder von Menschen wie zarte geheimnisvolle Nebelschleier vorrüber. Auch das Schnaufen und Säuseln eines „Sängers“schält sich gerade durch seine leise Zurückhaltung aus dem Technosound heraus. Menschliches überlebt durch Zartheit. Aber selbst Witz ist hier unterkühlt: Ein PKW-Blinkerlicht wird angezwinkert von einem Stroboskop. Wer sich von den neuen Medien barocke Überwältigsästhetik erwartet, ist hier falsch. Aber dazu haben wir MTV. bk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen