: In sanfterem Paradeschritt
■ Die Provokation der frühen Jahre. Die 44. Internationalen Kurzfilmtage von Oberhausen leben von ihrer Tradition und suchen nach neuen Wegen. Eindrücke vom Festivalklassiker
Das Logo der 14. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zeugte von Harmoniebedürfnis. Auf den Buchstaben des Mottos „Weg zum Nachbarn“, die ein Zeichner zur Brücke hingebogen hatte, lagerten Kopf an Kopf zwei Strichmännchen: grinsend vor Seligkeit über das gemütliche Miteinander, das das Jahr 1968 verkörpern sollte. Das Logo irrte und mit ihm das Festival unter Leitung jener Oberbürgermeisterin, der Oberhausen die Luise-Albertz- Halle verdankt. Das Jahr der plakativen Nettigkeit geriet zur Bewährungsprobe. Weil die Bürgermeisterin angesichts eines drohenden Gerichtsverfahrens Hellmuth Costards Film „Besonders Wertvoll“ zurückzog, blieben 16 deutsche Filmemacher dem Wettbewerb fern. Nicht alle hielten den Masturbationsfilm, dem eine denkfaule Staatsanwaltschaft zur Berühmtheit verhalf, für das filmästhetische Äquivalent des politischen Aufbruchs. Eine Eichel in Großaufnahme, deren Öffnung sich zum zahnlos verkniffenen Mund spitzt, „zitiert“ am Anfang den Gesetzestext: „Nicht zu fördern sind Filme, die gegen die Verfassung und oder gegen das sittliche und religiöse Empfinden verstoßen.“
Langsame Heimkehr in die Filmtheater
Dreißig Jahre später gehörten diese Bilder, die 68 nur unter konspirativen Umständen gezeigt werden konnten, zu einem Sonderprogramm der 44. Internationalen Kurzfilmtage. Die sechzehn Filme, die aus Solidarität mit Costard in der Uni Bochum uraufgeführt wurden, kehrten im doppelten Sinne heim. Nicht nur an den Ort, der ihren Regisseuren und Regisseurinnen einst als zweifelhafte Bleibe für den jungen deutschen Film erschien, sondern vor allem ins Kino. Unter der Leitung von Lars Hendrik Gass, der mit der langjährigen Direktorin Angela Haardt eine Visionärin exquisiter Retrospektiven abgelöst hat, öffneten sich die Kinos von Oberhausen zum ersten Mal seit Jahrzehnten für das Festival. Kein geringer Fortschritt für den Kurzfilm, dessen Urheber sich in der Luise-Albertz-Halle sonst stets vergegenwärtigen mußten, daß ihre Kunst es nicht schafft, in die Filmtheater zu kommen.
Erfahren, was es heißt, manipuliert zu werden
Im Kino zeigte sich nun, was film- und zeitgeschichtlich von der Revolte der 68er übriggeblieben ist. Hellmuth Costard empfand die Konfrontation mit seinem Frühwerk verständlicherweise als „anstrengend“. Zu Werner Nekes Film „Jüm-Jüm“ trug Costard einen Begriff bei, der seine Distanz zur dogmatischen Aufklärung verriet: es handele sich um eine „Gefangennahme des Zuschauers“. Nekes Zehnminüter, in dem Dore O. als Effie Briest des Experimentalfilms vor einer Leinwand mit einem Riesenpenis schaukelt, weist sprunghafte Änderungen der Bewegung und des Lichts auf, die von einem gleichbleibend lauten Getrommel rhythmisiert werden. Der Zuschauer soll erfahren, was es heißt, im Kino manipuliert zu werden, was Bilder- und Sinnentzug, was der archaisierende Bann der rohen Tonfolgen bewirken. Der geübte Betrachter von heute kann „Jüm-Jüm“ als Terror sehen, als Jüngstes Gericht der Alt-68er.
In seinem Vorwort zum Festivalkatalog plädierte Gass, der sich als Leiter des Europäischen Dokumentarfilminstituts einen Namen gemacht hat, dafür, auch „die eigene Irritation in bezug auf ästhetische und handwerkliche Standards“ respektive „das Verschwimmen von Genres und Normen zu dokumentieren“. Sein Festhalten an der Tradition wie die anspruchsvolle Fortführung der Sonderreihen mit dem Programm „Nützliche Bilder“ begründete der jüngste aller Kurzfilmtagedirektoren allerdings mit einem Merksatz, der sich nächstes Jahr vielleicht schon nicht mehr so sympathisch (bescheiden) liest: „Ich weiß nicht“, so die Überschrift, „was der Kurzfilm ist.“
Nur gut, daß die Mitglieder des Auswahlkomitees es wußten. Der Wettbewerb bot angenehme Überraschungen. Neben Robert Frank, der demonstrierte, wie alt man werden muß, um wie ein Kind, ernst und selbstvergessen, mit der Kamera zu spielen, werden in diesem Jahrgang Margret Williams „Männer“ und „Heute“ von Eija-Liisa Ahtila Filmgeschichte schreiben: „Heute“ als luzide Lehre von der Relativität filmischer und menschlicher Perspektiven, „Männer“ als zärtliche Sicht auf sieben alte Männer, die eine magische Kamera das Land der Kindheit wiederfinden läßt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich die Filmbüchsen dieser Pandora geleert. Doch die Zustände in der GUS schreien nach schmerzlichen Parodien wie sie der Aserbaidschaner Vagif Mustafayev mit „Alles zum Besten“ zeigte. Der Film, der mit einer Fülle ernsthafter Komiker prunkt, spielt während des armenisch-aserbaidschanischen Nagorny-Karabach-Konflikts. Einer Familie wird ein Sarg überbracht. Während der Beisetzung stellt sich heraus, daß der Tote nicht Sohn dieser Familie ist. Als eine zweite Familie bereits in Trauer zerfließt, aber immer noch keiner weiß, wem der Tote gehört, wird der Zinksarg aufgeschweißt. Und siehe, es ist ein Armenier. Die Groteske um eine chauvinistisch geopferte Jugend, die nicht einmal im Tode gleich (tot) sein darf, erlebt ihren Höhepunkt in einer Beschwörung der Völkerfreundschaft, die nur aufwallt, weil keiner weiß, wohin mit dem unbekannten Soldaten.
In der Tradition der polnischen Politsatire stellte Marek Piwowski seinen höllisch klugen und amüsanten Film „Der Paradeschritt“ vor. Selbiger stellt sich als der Schritt heraus, den Polen auf die Nato zumacht. Das Gerücht geht, daß die Nato den Paradeschritt der polnischen Armee als zu aggressiv ablehnt. Eine Runde von Betonköpfen, eisernen Militärs, wehen Dichtern und anderen Betroffenen setzt sich zusammen. Polen kommt weiter ist das haarsträubend herrliche Ergebnis, wenn auch im sanft dahin raupenden Schmetterlingsschritt. Heike Kühn
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