piwik no script img

Die deutsche Justiz soll ermitteln

■ Angehörige von deutschstämmigen „Verschwundenen“ wollen argentinische Militärs in Deutschland vor Gericht bringen

Buenos Aires (taz) – Ida Tater würde argentinische Diktaturgeneräle gerne vor einem deutschen Gericht sehen. Um das zu erreichen, kommt sie heute nach Deutschland, um beim Bundesjustizministerium in Bonn einen dicken Ordner mit belastenden Unterlagen über die Militärs abzugeben. Ihr Mann, Federico Tater, ist einer von 75 Deutschen oder Deutschstämmigen, die während der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) „verschwanden.“

Zum letzen Mal sah Ida Tater ihren Mann am 15. Oktober 1976, als ein Trupp Militärs in das Haus der beiden eindrang und Federico Tater mitnahm. Einer rief ihr noch zu, daß sie ihren Mann in zwei Stunden zurückbringen würden, doch Federico Tater tauchte nie wieder auf – wie 30.000 andere argentinische Oppositionelle, die während der Militärdiktatur gefoltert und ermordet wurden. Seine Familie kommt aus Solingen, seine Eltern wanderten nach dem Ersten Weltkrieg nach Argentinien aus.

„Insgesamt wollen wir fünf Fälle vor der deutschen Justiz präsentieren“, sagt Stella Ageitos, die Rechtsanwältin von Ida Tater, die, wie der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel, ebenfalls nach Bonn gereist ist. Weil „jeder Staat die Pflicht hat, seine Staatsbürger zu schützen“, so Perez Esquivel, müsse auch die deutsche Justiz gegen die argentinischen Militärs ermitteln, die Deutsche oder Deutschstämmige ermordet haben.

Was Ida Tater in Deutschland erreichen will, ist in anderen europäischen Staaten bereits geschehen. In Spanien ermittelt die Justiz gegen Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet und gegen argentinische Militärs. Der Vorwurf: Sie sollen für die Ermordung spanischer Staatsbürger verantwortlich sein. In Frankreich verurteilte ein Gericht den ehemaligen argentinischen Marinekapitän Alfredo Astiz zu lebenslanger Haft, weil er zwei französische Nonnen ermorden ließ, die die „Mütter der Plaza de Mayo“ unterstützten. Zwar ist Astiz ein freier Mann. Allerdings wird er per internationalen Haftbefehl gesucht und kann Argentinien nicht verlassen.

Für die Angehörigen von Diktaturopfern sind die Prozesse im Ausland die einzige Möglichkeit, juristisch gegen die Militärs vorzugehen, die in Argentinien durch ein Amnestiegesetz geschützt sind. Zwar kann nach deutschem Recht niemandem in Abwesenheit der Prozeß gemacht werden – und daß Argentinien die Militärs an einen anderen Staat ausliefert, ist völlig undenkbar. Für Stella Ageitos hat das Streben nach Verfahren vor deutschen Gerichten dennoch mehr als nur symbolischen Wert: „Unser Ziel ist es, daß die Verfahren voranschreiten und daß ein internationaler Haftbefehl gegen die Verantwortlichen erlassen wird.“

Die deutsche Regierung ist dabei in der Vergangenheit keine große Hilfe gewesen. Als Ida Tater während der Diktatur die Deutsche Botschaft in Buenos Aires um Hilfe bat, wurde ihr die Türe vor der Nase zugeschlagen. „Die Deutschen sagten mir, daß sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen könnten. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu der argentinischen Regierung waren ihnen wichtiger als die Verbrechen, die begangen wurden“, vermutet Tater. Die Botschafter von Irland und Spanien dachten anders. Sie konnten einige ihrer Staatsangehörigen aus den Klauen der Diktatur befreien. Ingo Malcher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen