: Eine kurze Geschichte des Zappens
■ Wie die Hansawelle aktueller, bremischer, jünger, regionaler, älter, musikalischer, mehr und vor allem weniger wurde / Die polemische Chronik eines gelegentlichen Radiohörers
Es war einmal ein Wort, das hatte sechs Buchstaben und schrieb sich „Format“. Eines unbestimmten Tages, als das Flaggschiff von Radio Bremen, die Hansawelle, zwischen Visselhövede, Ostereistedt und Varel-Obenstrohe in der Quote von 38 auf 35 Prozent oder von 42,8 auf 40,9 Prozent abgesackt war, hielt das Wort im kleinsten ARD-Sender Einzug. Radio, so lehrten privatfunkgeschulte Berater, müsse ein Format haben und die Musik eine Farbe und ein jeder Wortbeitrag eine gewisse Lockerheit und vor allem Prägnanz – will sagen: Kürze. Möglicherweise war dieser unbestimmte Tag ein schlimmer Tag. Denn seither geht es bei Radio Bremen drunter und drüber mit der Folge, daß sich die vier Programme in den Jahren mindestens 28 verschiedene Formate zugelegt haben. Und es ist ein einziges Wunder, daß die Programm-MacherInnen noch kein Gewinde im Hals haben vor lauter Reformen – vor allem der Hansawelle.
Die Hansawelle wird Paradepferd
Es gab immerfort nur zwei Gründe für den senderinternen Reformeifer: Der Sparzwang – sei er nun durch ein Haushaltsdefizit begründet oder durch die sich jetzt abzeichnende Kürzung des Länderfinanzausgleichs spätestens im Jahr 2001 – und die Quote. Deren Absacken hat dem öffentlich-rechtlichen Status des Senders zum Trotz dazu geführt, daß alles, was vorgestern richtig war, gestern nervös verworfen und heute teilweise und genauso nervös wieder für gut gehalten wird. Man muß dafür nur im Archiv nachschlagen.
Radio Bremen hat im vergangenen Jahr kräftig an HörerInnen verloren. Vor allem das Flaggschiff des Senders, die Hansawelle, wurde im März im Vergleich zum Vorjahr weniger eingeschaltet. Hatten im gesamten Sendegebiet noch 42,8 Prozent auf die Frage, welchen Sender sie am Vortage eingeschaltet hatten, die Hansawelle genannt, waren es in diesem Jahr nur noch 40,9 Prozent. Besonders gravierend sind die Einbußen im Bundesland Bremen. Hier verlor die Hansawelle satte 10,2 Prozent und liegt nun bei 53,7 Prozent.
Das war 1989 und blieb nicht ohne Folgen. Die Hansawelle soll weiter zum einschaltquoten- und werbeträchtigen Paradepferd der vier Radio-Bremen-Programme ausgebaut werden, kündigte die damalige Programmdirektorin und heute für den Ocean- und Space-Park-Investor Jürg E. Köllmann arbeitende Carola Sommerey der taz zufolge im Januar 1990 an.
Die „Rundschau“, die zweimal täglich ausgestrahlte Infosendung über Bremen und die Welt, hatten Sommerey und Co schon im Vorjahr ins dritte Programm abgeschoben. Jetzt sollten Lokale Nachrichten in die zum „tagesbegleitenden Fließprogramm“ umgestaltete Hansawelle eingestreut werden. Möglichst bunt sollte es im Radio-Bremen-Hauptprogramm zugehen, das den Tag in die Abschnitte „Kaffeepott“, „Bremen Eins am Vormittag“ sowie „Bremen Eins am Nachmittag“ einteilte.
Und unter dem Titel „Bremen Eins am Mittag“ wurde schon im Sommer 1990 eine Umstrukturierung wieder umstrukturiert: Die „Rundschau“ kehrte als Magazin-sendung mit kurzen Wortbeiträgen und längeren musikalischen Zwischenspielen auf die Hansawelle zurück. Gleichwohl galt das „tagesaktuelle politische Geschehen“ als „verzichtbar“. War es deshalb oder trotzdem? Egal, aus Sommereys Paradepferd wurde nichts, die Quote sank weiter.
Qualität trotzt den Dudelwellen
Anfang 1992 wurde Hermann Vinke, der Leiter des ARD-Studios Ost-Berlin, zum Hörfunkdirektor gewählt und kündigte an, Publikum zurückgewinnen zu wollen. „Ziemlich schnell“ wollte er die dringend reformbedürftige Hansawelle zu einer unterhaltenden Informations- und Servicewelle umbauen und dabei den „Dudelwellen“ eine Rundfunkqualität mit den Attributen temporeich, flott und inhaltlich gewichtig entgegensetzen. Insgesamt sollte es bei Radio Bremen „ein Stück bremischer“ zugehen. Schon im Sommer sollte aber auch die Region stärker vorkommen. Und Rundfunkqualität hieß: Weniger Wortanteil, mehr deutsche Schlager. Hörspiele wurden unter der Ägide des neuen Hansawellen-Chefs Kai Schlüter, der nach knapp zwei Jahren wieder das Handtuch warf, aus dem Programm genommen. Fachredaktionen wurden in einer Zentralredaktion verschmolzen. „Was wir machen, ist Privatfunk“, klagten Redakteure. Zugleich tauchte für die Jugendwelle Radio Bremen 4 erstmals der Begriff „Vollprogramm“ für die Altersgruppe zwischen 14 und 35 auf und – verschwand wieder. War es deshalb oder trotzdem? Die Quote der Hansawelle sank weiter.
Ende 1994 wurde Christian Berg Chef der Hansawelle. Unter seiner Ägide sollte die Hansawelle viel bremischer, viel frischer und viel ausgeschlafener werden. „Wir müssen politisch auf dem Informationsstand von (Ex-Bürgermeister; Anm. d. Red.) Klaus Wedemeier sein“, kündigte Berg seine neuen inhaltlichen Anforderungen an und beschrieb die Musikfarbe als „melodisch, markant, modern“. Der Spagat, die mittlere und ältere Hörerschicht musikalisch gleichermaßen anzusprechen, galt als mißlungen. Also gab's für die Älteren fortan das neue Programm „Radio Bremen 3 – Melodie“ und wurde die Musik der Hansawelle verjüngt. Unter dem Motto „Regionalisierung“ wurden verstärkt Ü-Wagen ins Umland geschickt. Doch die Quote sank weiter.
Inzwischen beantworten zwischen Visselhövede, Groß Bramstedt und Sögel noch 11,5 Prozent die „Was haben Sie gestern gehört“-Frage der Media-Analyse mit Hansawelle. Innerhalb der Landesgrenzen sind es nicht mehr wie Ende der 80er Jahre 53,7 Prozent, sondern 26,4 Prozent. Die vier Wellen zusammengenommen, ist Radio Bremen im Lande trotzdem noch der meistgehörte Sender. Doch wieder bleibt der Quotendruck nicht ohne Folgen.
Lebenswelten im Zwei-Städte-Staat
„Das Ziel der Verjüngung der Hansawelle wird aufgegeben“, schreibt Hermann Vinke in einem jetzt bekannt gewordenen – Reformpapier. Darin will er die „Melodiewelle“ zugunsten des mit dem NDR geplanten Nordwestradios aufgeben und zieht Schlüsse für die anderen Frequenzen: Die Musik der Hansawelle werde wieder auf die über 40jährigen ausgerichtet. Zugleich soll der Jugendfunk „Bremen 4“ nun doch wieder zum Vollprogramm werden und mit journalistischerer Ausrichtung sowie einer geänderten Musikfarbe auch die bis zu 40jährigen ansprechen. Inhaltlich soll die Hansawelle zwar kein City-Sender werden, aber eindeutig Lebenswelten in den Vordergrund stellen. Das hat Format.
C. Köster
P.S.: Ohrsinnig fand ich die „Radioillustrierte“ Hansawelle besser früher. Aber was zählt das schon.
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