: Behinderte machen Druck auf Politik
Am Tag der Behinderten protestieren Betroffene gestern erneut für ein Gleichstellungsgesetz. Politiker wehren sich aber gegen Vorwurf der Verschleppung ■ Von Christian Haase
Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte, Blinde und Gehörlose haben gestern am europaweiten Protesttag der Behinderten mit verschiedenen Aktionen für Gleichberechtigung demonstriert.
Am Brandenburger Tor veranstalteten die Behindertenorganisationen fünf Minuten vor zwölf ein Pfeifkonzert gegen Diskriminierung. Etwa hundert Personen trillerten und forderten die rasche Verabschiedung eines neuen Behinderten-Gleichstellungsgesetzes. In der Wilmersdorfer Straße führten Schwerbehinderte ein Theaterstück über die schwierige Situation von pflegebedürftigen Behinderten auf. Sie kritisierten, daß die notwendigen Hilfsmaßnahmen oftmals nicht bewilligt würden. Am Lichtenberger Rathaus schließlich ließ sich ein Rollstuhlfahrer mit einem Kran zur Bürgersprechstunde hiefen, da das Rathaus über keinen behindertengerechten Eingang verfügt. Vor mehr als hundert Demonstranten ließ er sich mehrere Formulare aus dem Fenster reichen.
Anläßlich des siebenten Protesttages kritisierte Martin Marquardt vom Behindertenverband, daß noch immer ein Großteil der Ämter, Restaurants, Kaufhäuser und Straßenbahnen für Behinderte nicht geeignet seien. Außerdem würden bei Grundsanierungen wie in den Hackeschen Höfen nicht ausreichend auf behindertengerechte Ausstattung geachtet.
Abhilfe soll ein neues Berliner Gleichstellungsgesetz schaffen. Der erste Entwurf der Behindertenorganisationen sieht eine starke Stellung der Behindertenbeauftragten, umfassende Klagerechte der Behindertenorganisationen sowie eine weitere Absicherung zusätzlich zur Pflegeversicherung vor. Den Entwurf haben die Fraktionen Anfang vergangenen Jahres erhalten. Von CDU und SPD liegen inzwischen Stellungnahmen vor, doch ein Gesetz ist noch nicht verabschiedet. „Verschleppung“, kritisiert Marquardt. Doch die Parteien verweisen auf die Vielzahl der Detailprobleme, die noch zu regeln sind. Auch Michael Haberkorn, sozialpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, weist die Kritik der Behindertenorganisationen zurück, daß seine Partei eine Stellungnahme verschleppt habe. „Das gehört zum normalen parlamentarischen Betrieb, daß komplizierte Entwürfe Zeit zur Diskussion brauchen“, sagt er. Er rechnet damit, daß das neue Gesetz noch diesen Sommer eingebracht wird.
Wenn das Gesetz verabschiedet wird, hat für Martin Marquardt der Protesttag eines seiner wichtigsten Ziele erreicht. Der Aktionstag war nämlich vor sieben Jahren ins Leben gerufen worden, um für die Einführung von Behinderten- Gleichstellungsgesetzen zu werben.
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