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Berliner Lektionen oder: Meine jährliche Busfahrergeschichte Von Carola Rönneburg

Samstag, 2. Mai, gegen Viertel nach drei an der Haltestelle der Buslinie 129 am Berliner Hermannplatz. Zwei Mütter mit Kinderkarren steuern gemeinsam den Bus an, der in wenigen Minuten Richtung Grunewald starten wird. Hinter ihnen schiebt eine kleine Frau einen Jugendlichen in einem wuchtigen Liegerollstuhl.

Der Rollstuhl ist konstruiert für jemanden, der nicht selbst in die Speichen greifen kann, um sich vorwärts zu bewegen: Ähnlich wie seine knochigen Beine sind die sehr dünnen Arme des jungen Mannes unterhalb des Ellenbogens weit nach außen verkrümmt. Auch seine Hände sind in einem seltsamen Winkel verdreht. Während die Frau ihn eilig vorwärts stemmt, dreht er hektisch den Kopf hin und her.

Als alle den Bus erreicht haben, öffnet der Fahrer die Tür. „Heil dir, mein Fahrzeugführer“, spricht die kleine Frau; die beiden anderen salutieren. „Wenn Sie nun nach Ihrer wohlverdienten Pause wieder anfahren: Wären Sie wohl so gütig, die widrigen Umstände zu berücksichtigen, unter denen wir reisen? Sehen Sie meinen Jungen hier: Er ist auf Sie angewiesen. Wir hätten es wohl gern, so einfach wie möglich einzusteigen – nur dieses eine Mal. Bitte!“ Der Busfahrer setzt eine skeptische Miene auf. „Wir beeilen uns auch“, versichert eine der Kleinkindbetreuerinnen, „wir werden Ihren Fahrplan nicht durcheinanderbringen, bestimmt nicht.“ Die Frauen ringen nun leicht verlegen die Hände, lächeln etwas angespannt und erwarten die Antwort des Fahrers. „Das paßt mir eigentlich überhaupt nicht“, sagt der, „und aussteigen wollen Sie wahrscheinlich auch noch, was?“ Die Bittstellerinnen schlucken und nicken stumm. „Also gut: Machen Sie sich auf den Weg – na los!“

Kurze Zeit rollt der Bus langsam voran und hält so weit vor der Fahrplansäule, daß die Frauen samt Anhang bequem durch die Mitteltür gelangen; für den Rollstuhl ist die Rampe ausgefahren. „Wir danken Ihnen von Herzen“, rufen die Frauen dem Busfahrer gerührt zu. „Vergelt's Ihnen Gott, Sie sind ein guter Mensch!“

Ja, liebe Teilnehmer am Öffentlichen Personennahverkehr in Berlin, so einfach hätte es gehen können am vergangenen Samstag im Wagen 3010. Die wahre Geschichte spielte sich indes so ab:

Der Busfahrer fuhr an, die Mütter brachten ihre Wagen in Position. Vergebens: der Busfahrer brachte seinen 129er so zum Stehen, daß der Einstieg für die Frauen von einem Baum versperrt war. Mit Hilfe weiterer Fahrgäste zerrten und schleppten sie ihre Karren um den Baum herum in den Bus; der Rollstuhl verhakte sich und mußte auf die Seite gekippt werden, damit er durch die Tür paßte.

Im Bus wurden daraufhin Beschwerden laut – wie sich der Fahrer das Zusteigen mit Kinderwagen und Rollstuhl eigentlich vorstellte, so wie er geparkt hatte?

Die Antwort war ganz einfach. Solche Transporte müßten vorher bei ihm angemeldet werden, schnauzte der Busfahrer. Und fügte warnend hinzu: „Dann gibt es auch keine Schwierigkeiten...“

So hatte der Mann den Frauen eine Lektion erteilt, und beim nächsten Mal werden sie sich gewiß anders verhalten.

Ob das dann auch für den Busfahrer gilt, ist natürlich eine andere Frage.

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