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Eidgenossen auf abschüssigem Gelände

■ Nicht einmal jodeln würde helfen in den identitätsverwirrten Teilen von Thomas Hürlimanns Szenenreihe „Das Lied der Heimat“, das jetzt am Züricher Schauspielhaus uraufgeführt wurde

Thomas Hürlimann ist der derzeit produktivste Schweizer Theaterautor. Sonst eher ein Verfasser gediegener Stücke wie zuletzt „Carleton“, hat er jetzt eine episodische Szenenreihe über Schweizer Mentalitäten vorgelegt: Wie der Eidgenosse zu bodenloser Heimattümelei neigt, Fremdes ausgrenzt und Gewinnversprechendes sich einverleibt. Ein Stück ist nicht daraus geworden. In drei kurzen Szenen allerdings wartet der 47jährige Hürlimann mit existentiell absurden Identitätsspielen auf, deren Pingpongdialoge zum bisher Besten aus seiner Feder zählen.

Da ist es plötzlich vorbei mit der Schweizer Betulichkeit, wird der Züricher Stadtmensch zu einem Heimatlosen, der sich selbst und seiner Ehehälfte derart fremd geworden ist, daß nicht einmal mehr jodeln helfen würde. Man stelle sich vor: Der Türke Ali will heim in seinen Wohnturm, landet aber nicht bei seiner angeheirateten „Mutti“, sondern bei Lola nebenan. Erst am Frühstückstisch bemerkt sie, wer sich da in ihrem Bett räkelte, während der besoffene Gatte auf dem Sofa langsam zu sich kommt. Tatja Seibt tänzelt die Lola schön nervös im Minirock, bevor man „Mutti“ sich lethargisch sorgen sieht, ihr Ali könne tatsächlich verduften und sie mit nichts als Vico Torriani im Fernseher zurücklassen. In der dritten Variante des Identitätsspiels ist schließlich alles zu spät. Ein Ehepaar sitzt beim Frühstück und erkennt sich nicht mehr. Sie heißt Iris, er Peter und beide Müller. Mehr wissen sie nicht mehr und auch nicht, ob sie tatsächlich dereinst geheiratet haben.

Der Regie-Altmeister der Schweizer Szene, Werner Düggelin, inszenierte die drei Schauspielerpaare des abschüssigen Identitätstryptichons völlig unangestrengt und spritzig, während ihm die drei historischen Szenen des „Heimatliedes“ ersichtlich große Mühe bereiteten. Thomas Hürlimann wollte offenbar des Schweizers bodenlos verlogenes Verhältnis zur eigenen Tradition karikierend aufs Korn nehmen, biegt allerdings jeweils schon lange vor der Schmerzgrenze ab.

Also dämmert Gottfried Keller in der Eingangsszene und im Jahre 1889 misanthropisch seinem Siebzigsten entgegen, während sich die Lakaien des alpinen Grandhotels, genannt „Schweiz“, über seine Verse lustig machen, ihn aber trotzdem zum Nationaldichter küren wollen.

Und also dämmert der Millionär Indergand im Sanatorium Sonnenberg über dem Vierwaldstättersee mit schlechtem Gewissen seinem Ende entgegen, weil er das Geld mit einem „schön lüpfigen“ Heimatlied gemacht hat, das er als Feldwebel im Winter 1942 einer polnischen Komponistin in einem Internierungslager abgepreßt hat (in Düggelins Inszenierung eine bloß laut-schneidige Szene).

Ein Raublied wie Raubgold, und kurz vor Torschluß steht tatsächlich die Tochter der polnischen Komponistin vor ihm, der er jetzt endlich beichten kann. Aber dann singt ihm ein eidgenössischer Männerchor das berühmte Heimatliedli vor, und er stirbt, bevor ihm das Geständnis über die Lippen schlüpfen konnte. Jürgen Berger

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