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■ Berliner gründen erste Demonstrationsagentur DeutschlandsBerufsdemonstranten endlich bezahlt?

Eben hat eine Werbeagentur der Bundesregierung angeboten, Castoren zu beschriften, schon zieht die Protestszene nach. Demonstrieren muß sich wieder lohnen, meinen Chan Guan Dijen (32) und Christoph Hermann (30). Sie nahmen sich Herzogs Ruck- Rede zu Herzen und gründeten zwecks Kommerzialisierung der Demonstrationskultur die Agentur kommkomm. Ihr Art Director Hermann studiert Theaterwissenschaft, Managing Director Chan ist Politologe und hat als Verkaufsmanager einer Hotelkette gearbeitet. Nun wollen sie Deutschlands erste werbefinanzierte Berufsdemonstranten werden.

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taz: Am 1. Mai habt ihr euch in Berlin, auf der DGB-Demo und den Demos in Kreuzberg und Prenzlauer Berg, erstmals der Öffentlichkeit präsentiert: Mit einem „Demonstrieren ist sinnlos“- Transparent, auf dem rechts zu lesen war, „Hier könnte Ihre Werbung stehen“...

Chan: Amateurpolitik ist heutzutage sinnlos. Immer mehr Anbieter konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Leute. Eine gute Demo vorzubereiten, ist ein dreiwöchiger Fulltime-Job, nur zu leisten von Berufsdemonstranten, einer professionellen Demonstrationsagentur. Werbung auf den Transparenten – als erster Schritt – soll dazu dienen, das nötige Geld zu akkumulieren.

Zu welchen Konditionen?

Chan: Zwei Träger für zwei Stunden kosten 300 Mark, jede weitere Stunde kostet 100. Die Sprüche sind austauschbar. Wir können z. B. „Demonstrieren ist sinnlos“ durch „Revolution ist sinnlos“ ersetzen. Über die Parolen muß man sich letztlich mit der Werbeagentur einigen.

Welche Reaktionen gab's?

Chan: Auf der DGB-Demo haben wir ein Freibier bekommen. Am nettesten waren die Leute seltsamerweise in Kreuzberg. Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz gab es dagegen handfeste Drohungen: Euch gehört aufs Maul, und so.

Wieso denkt ihr, ist Demonstrieren sinnlos?

Hermann: Die Demos der letzten Jahre haben nichts gebracht. Und kein Mensch fragt, warum.

Warum?

Chan: Die Demonstrationsform stammt noch aus den Sechzigern: Flugblätter, Transparente, Lautsprecherwagen, auch die Krawalle sind dieselben. Wenn heute ein Möbelhersteller noch dasselbe Regal wie 1965 anbieten würde, ginge er pleite. Die Werbebranche ist der Bereich, der am meisten Innovationen hervorgebracht hat, der sich permanent revolutioniert. Jedes Produkt wird jedes Jahr auf völlig andere Weise angeboten: Snickers, Mercedes... nur Politik nicht. Und da wundert man sich, daß die Leute politikverdrossen sind.

Die Kommerzialisierung der Politik ist bei euch also nicht nur Mittel, sondern auch Zweck?

Chan: Ja, Politik muß wieder unterhaltsam werden. Ich kann nur empfehlen, sich mal drei, vier Wochen vor den Fernseher zu setzen und nur Werbung zu schauen. Oder sich die schlechtesten Zeitschriften zu kaufen. Da kann man die modernen PR-Techniken studieren. Eine Demoagentur muß ständig den letzten Kick finden. Dann sagt man, wir haben hier ein bestimmtes Produkt, das Produkt Systemveränderung zum Beispiel, und sucht sich die Zielgruppe: Wen möchte ich mit meinem Produkt ansprechen? Bei keiner Demonstration wird darauf geachtet.

Ich nehme an, ihr habt eine persönliche Leidensgeschichte...

Hermann: Ja, ich war wirklich auf zu vielen schlechten Demos. Einmal, auf 'nem Ostermarsch, das war richtig scheiße. Wir sind weitab der Stadt durch ein Panzerübungsgelände gelaufen, ein saudummer Waldspaziergang.

Chan: Zuletzt war ich bei irgendwelchen Studi-Demos. Und als ich noch jung und knackig war, auf diesen Friedensbewegungssachen: Die waren zwar erfolglos, kamen aber gut in die Medien. Zum Beispiel die Menschenkette von Stuttgart nach Ulm.

Wart ihr mal organisiert?

Chan: Meinst du jetzt politisch?

Ja.

Chan: Eher nicht... Ich bin in 'ner Partei. Seit 16 Jahren.

Bei welcher?

Chan: Den Grünen. Die sind genauso wie die Demos, total vermufft.

Hermann: Parteien überhaupt sind überkommen.

Was haltet ihr von Christoph Schlingensief und seiner Partei?

Hermann: Der Hofnarr der Kunstspießer. Nächste Frage!

Chan: Schlingensief nimmt die Sache nicht ernst, er spielt einfach nur den Clown und hat nichts dabei im Kopf – politisch.

Was unterscheidet euch?

Chan: Wir wollen die Professionalisierung der Politik. Ernsthaft. Daß wir dabei auf Ironie zurückgreifen, ist logisch. Nur so macht man gute Werbung. Wer wahrgenommen werden will, muß erst mal Blödsinn machen.

Was unterscheidet euch vom Mainstream der Politik? Da sind doch Professionalisierung und Kommerzialisierung voll im Gang. Parteien delegieren ihre Darstellung an Werbeagenturen...

Chan: Aber an grottenschlechte! Bis auf die PDS. Die hatte 1994 einen guten Wahlkampf.

Hermann: Die reden den Werbeagenturen ständig rein, und dann kommen solche Plakate raus wie das Troika-Plakat der SPD vor vier Jahren.

Schröder hat daraus gelernt.

Chan: Schröder ist zwar ein Medien- und Werbemensch, macht aber keine Politik mehr. Er verzichtet auf jede Aussage. Schröder ist für das Ende der Politik die reine Show. Wir wollen mehr Kommerz und mehr Politik.

Habt ihr schon Angebote?

Chan: Auf der DGB-Demo hat uns einer angesprochen, von Siebenstern, das ist 'ne Esoterik-Zeitschrift. Interview: Sven Hillenkamp

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