■ Die Proteste in Indonesien fordern die ersten Todesopfer: Die Dynamik der Gewalt
Das international bekannteste Wort aus dem indonesischen Sprachraum heißt Amok. Genau das war in den letzten Tagen bei einigen der Proteste in Indonesien zu beobachten. In der Stadt Medan starben sechs Menschen bei Demonstrationen, die in Gewalt gegen Geschäfte chinesischstämmiger Indonesier ausarteten. Seit Wochen haben täglich Studenten friedlich für politische Reformen und ein Ende des Suharto-Regimes demonstriert. Oppositionelle wurden verschleppt und gefoltert, doch insgesamt ließ das Militär die Studenten demonstrieren, solange sich ihr Protest auf die Universitäten beschränkte und keine Breitenwirkung entfalten konnte. Diktator Suharto erteilte jedoch politischen Reformen in den nächsten fünf Jahren eine klare Absage. Damit war den Studenten nicht mehr nur der Protest auf der Straße versperrt, sondern auch jegliche Aussichten auf politische Reformen genommen.
Während das politische System Indonesiens damit überhaupt keine Möglichkeit bietet, sich friedlich für einen politischen Wandel mit Aussicht auf Erfolg einzusetzen, steigt täglich der wirtschaftliche und soziale Druck auf die Bevölkerung. Die Wirtschaftskrise läßt das Heer der Arbeitslosen anwachsen. Mit der Umsetzung der mit dem IWF vereinbarten Wirtschaftsreformen kam es zu drastischen Preissteigerungen. Doch Suharto und seiner mitregierenden Familie, die sich schamlos bereicherte, fehlt jegliche moralische Legitimation, um von der Bevölkerung Einschränkungen zu fordern. Harte wirtschaftliche Opfer sind nur mit gleichzeitigen politischen Reformen zu vermitteln. Doch genau diese verweigert der Diktator. Damit gleicht Indonesien einem Kessel, in dem der Druck steigt und nach einem Ventil sucht. In Medan wurde jetzt Dampf abgelassen.
Mit der chinesischen Minderheit verfügt die indonesische Regierung über einen Sündenbock und Blitzableiter. Anders gesagt: Das Suharto-Regime (und seine ausländischen Unterstützer wie die in Bonn) ist dafür verantwortlich, daß Chinesen zur Zielscheibe von Protesten werden, die Suharto gelten.
Wenn Suharto-treue Intellektuelle jetzt den Diktator zu schnellen politischen Reformen auffordern, könnte dies die letzte Chance sein, einen unkontrollierten Gewaltausbruch zu verhindern. Noch sitzt Suharto fest im Sattel. Doch in Jakarta fordern Studenten bereits auf Plakaten „Hängt Suharto und seine Familie“. Sollten Reformen ausbleiben, dann könnte sich der Amoklauf der Gewalt eines Tages auch gegen den ewigen Diktator Suharto richten. Sven Hansen
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