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Von sehr weit weg, bei Nacht

■ Im Klangbad von Whirlpool Productions verdämmert das Clubzeitalter in rhythmischer Seltsamkeit. Akkordeons und Gitarren wispern zu den Resten von House. Crazy-groovy Musik

Am Anfang der Geschichte von Whirlpool Productions als bandähnlichem Zusammenhang dreier Freunde steht ein Bild des Aufbruchs. Der für seine „Niedlichen“-Comics in Spex bekannte Felix Reidenbach setzte es 1995 auf das Cover des Debütalbums „Brian De Palma“: Ein futuristisches, am Computer designtes Luftkissenfahrzeug kreuzt den Weg des Betrachters. Das Steuer teilen sich drei lustig und cool aussehende Typen, offenbar mit großem Vergnügen. Weiter hinten im dazugehörigen Booklet steht, daß das Ding „295 Sachen“ bringt.

Die Spritztour, der Spaß, zu denen man da eingeladen wurde, bestand im Versprechen von totaler Körperlichkeit, Ekstase, wie sie die damals noch – oder schon wieder – aktuelle House Music als Clubmusik selbstverständlich gab. Hans Nieswandt, der als Musikjournalist von Hamburg nach Köln gekommen war, und Eric D. Clark, aufgewachsen in der Nähe von San Francisco und via Paris in Köln gelandet, hatten bereits ein paar Jahre gemeinsamen Plattenauflegens hinter sich und waren nach wie vor verschossen in die Musik, zu der man sich „halt so verlieren“ kann (Nieswandt).

Zu Hoffnungsträgern wurden Whirlpool, weil sie, besonders mit ihrem zweiten Album „Dense Music“ (1996), eine bis dahin unbekannte Hoffnung formulierten: Sie verstanden House nicht nur als Soundtrack zur Freiheit des Nachtlebens und seiner Glamourösität, sondern auch als offene Form, als, mit seinen 120 beats per minute, gutes Erzähltempo für noch ganz andere Geschichten.

„Unsere Einflüsse kommen nicht unbedingt aus der Gegenwart“, erklärt Justus Köhncke. So fanden sich auf „Dense Music“ Spuren, die zu Sixties-Pop führten („The Cold Song“) und – über die organischen Soundspektren diverser Percussionsinstrumente und Alltagsgeräusche – zu Krautrock. Besonders hervorgehoben wurde typischerweise aber auch die Tradition Disco/House, und zwar vor allem durch den Track „From: Disco To: Disco“. Er konnte als spontan-läppische Auseinandersetzung mit der Retro-Mode Disco verstanden werden (da wird bekifft gelacht, ziemlich schräg gesungen, und Disco ist, als Synonym für Club, ganz und gar im Heute), stürmte aber zugleich letztes Jahr in Italien, später dann in Belgien als Teil dieser Mode die Charts.

Das neue Album knüpft an ein paar Stellen an dieses Rezept an. Sly Stones „If You Want Me To Stay“ etwa wird ganz ähnlich gecovert. Und vor allem: „Crazy Music“. In vollkommener Sample- Mania fügen Whirlpool Teile von Roxy Musics „Editions Of You“ zu einer Hommage an Glamrock, bzw. Köhncke, der den Track produzierte, setzt hier etwas zu einer „Vision“ zusammen, „die mit einem bestimmten Punkt, an dem er da war, zu tun hat“ (Nieswandt). Oder sagt man doch „Meditation über einen Track von Roxy Music“ (auch Nieswandt)? Oder, ganz allgemein und in der von Whirlpool gepflegten internationalen Interviewsprache: „Some things we know, some things we don't namely touch on a rational level – because it's maybe not such a good idea.“

Das neue Album hat den Titel „???“. Aufgenommen wurde voriges Jahr im Juni auf Jamaica. Whirlpool waren abgelegen in einer kleinen Bungalowsiedlung untergekommen. Das zugehörige Herrenhaus stellte mit einem großzügigen Wohnraum und angrenzender Veranda ein ungewöhnliches Studio zur Verfügung. Beinahe im Dschungel. Den kann man auf dem Album hören als Regen, Insekten und andere Tierlaute „von sehr weit weg, bei Nacht“, erzählt Clark.

Sehr weit weg hört sich vieles auf „???“ an. Anstatt der demonstrativen Präsenz von Clubmusik bestimmt hier die Verwischung von Gegenwärtigkeit die Mischung. Entsprechend ist keine Rede mehr vom Rasen mit 295 Sachen in futuristischen Wagen. Statt dessen brummen alte Motorräder, schnauft es wie Dampflokomotiven.

Traurig klingen Akkordeon, eine Trompete, seltsame Gitarren zu den Resten von House-Rhythmus. Crazy-groovy Musik. Wie Reggae. Die 20 Jahre alte Vermutung von Cultural-Studies-Pionier Dick Hebdige, die Reggae-Begeisterung der Punks habe für eine unerreichbare Hoffnung gestanden, sei als geheime Rückseite zum Nihilismus von Punk zu verstehen, hat es in diesem Zusammenhang leicht, sich als vage Referenz in Erinnerung zu rufen.

„Der Spaß ist vorbei“, sagt denn auch ein Freund der Band und meint das Rave- und Clubzeitalter. Geht damit auch die Möglichkeit, die alten musikalischen Lieblingsgeschichten ins Heute zu holen, verloren? Sind Whirlpool unter dem Geheimtitel „???“ dabei, die Überreste ihrer Hoffnungen zu skizzieren? Nieswandt: „Wir hätten in Jamaica mit Fallschirmen landen sollen, mit leichtem Gepäck, das Studio-Equipment auf dem Rücken, in Guerilla-Klamotten. Denn wir hatten eine Mission zu erfüllen.“

Clark, der für dieses Mischmasch aus Jamaica- und Clubkultur-Interpretation nur ein „Wir hätten überall hingehen können“ übrig hat, veröffentlicht Ende des Monats sein erstes Soloalbum, „Fur Dancefloor“. Das Cover zeigt eine auf Individualität und Schrägheit bedachte, offensichtlich stark bohemistische Party-Crowd, und die Musik klingt wieder mehr nach Tanzen.

Auch da geht die Reise jedoch nicht zurück zu Idealen vom Club. Statt dessen bewegt sie sich Richtung Autorschaft, wird ziemlich persönlich (Stücktitel: „To All The People I Owe Money To“). Aber der Autor tut, was er kann, für seine Leute: Auf dem Cover umhüllt sie (s)ein Pelz. Jochen Bonz

Whirlpool Productions: „???“ (Motor Music)

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