: Wasser, Wald, Wiedehopf und kein Mensch in Sicht
■ „Terra incognita“: Fünf zeitgenössische Landschaftsbildner in der Weserburg
Am Anfang war der Affe. Beginnen wir diesen Text also mal mit Gedanken zum Tier: „Benommenheit des Tieres besagt also einmal: wesenhafte Genommenheit jeglichen Vernehmens von etwas als etwas, sodann: bei solcher Genommenheit gerade eine Hingenommenheit durch.........“ Aha. Benommenheit. Tierische Benommenheit! Alkohol im Spiel? – Ne, nur Heidegger. Überhaupt heideggert, gadamert, levi-strausst und guattarit es ganz gewaltig im schönen Katalog zur neuen Weserburg-Ausstellung. Aber zugegeben, das Heideggerzitat mehr fies als repräsentativ. Denn eigentlich ist es allerliebst, wie hier Kunst brüderlich in den philosophischen Diskurs mit aufgenommen wird. Die handfesten Horizontlinien der Maler dürfen sich endlich mal hineinschlängeln in die viel spirituelleren Horizonte und Horizontverschmelungen der Hermeneutik. Bilder werden ernst genommen als Redebeitrag zur Klärung von Begriffen wie Identität, Differenz etc. Wie kommt es zu so einer inhaltlichen, existentiellen Umgehensweise mit Bildern?
Also, auf zum zweiten Versuch eines Textbeginns: Die Weserburg rekrutiert ihre Ausstellungen gemeinhin aus dem Fundus je einer bedeutenden privaten Sammlung und liefert sich damit den subjektiven Vorlieben von Schokoladenfabrikanten u.a. aus. Da steckt immer ein bißchen Willkür mit drin, aber auch die Möglichkeit standartisierten Starkünstlerauslesen zu entgehen. Dieses Prinzip der Einschaltung eines persönlichen Filters setzt die Weserburg fort mit Ausstellungen, die von fremden KuratorInnen-Individuen komponiert wurden. Diesmal entschied man sich für Lynne Cooke vom New Yorker „Dia Center for the Arts“. Und die wiederum entschied sich für jenen inhaltlichen Zugang zur Kunst und für den euphemistisch-pathetischen Ausstellungstitel „Terra incognita“: Wo die armen Geographen auf den Landkarten dieser Welt kein einziges weißes Fitzelchen mehr für Entdeckungsspiele finden, gibt es für die Künstler noch immer ungeahnte Welten zu erforschen. Noch immer? Eher: schon wieder. Denn Im- und Expressionismus haben der Natur derart zugesetzt, daß Blumen, Berge, Bienen lange mit einem Bilderverbot belegt wurde – als wären sie Allah.
Interessanterweise beginnt die Rückeroberung der Erde hauptsächlich durch Fotografieren – und dem Handwerk des Weben (übrigens auch dem von Geschichten). Nur einer von Fünf, ein Neil Jenney aus Torrington/Conneticut, gesegnet mit documenta-Weihen, wagt sich an den Pinsel und an die gute, alte Allegorisierung des Baums. Aber auch erst nachdem er sich mit hingerotzten „bad paintings“ Mut zu Geschmacksbrüchen angemalt hat.
Schmal, wie aus einem Kriegsbunkerschlitz herausäugend, erspähen wir Geäst, fragmentarisiert durchs extreme Bildformat, durch Sauren Regen und vielleicht auch durch Acid Speed, Drogen und Musik. Durch die abendhimmellachsfarbene Luft des Bilds „Acid Story“ schwirren nämlich mysteriöse moosartige Wellen. Gerahmt ist das Ganze so schwer und streng, als handele es sich um den Altaraufbau einer Presbyterianerkirche. Die Bilder fordern denn auch die Geduld und Kontemplation von Kirchgängern. 1 Bild = 1 ganze Ausstellung, so lautet Jenneys selbstbewußte Gleichung, schwärmt Lynne Cooke. Für die Weserburg machte er angeblich eine Ausnahme.
„Ich mochte Dinge zeigen, die in Relation zu anderen Dingen existieren“, meint Jenney – und kombiniert arg plakativ Stacheldraht und Schmetterling. Ist da Lautreamonts surrealistische „Begegnung eines Regenschirm und mit einer Schreibmaschibne auf dem Seziertisch“ spannender? So interessant die Inszenierung, umwerfende Erkenntnis-Ahas erzeugen die Bilder nicht.
Auch Vija Celmins malt, und zwar nach Fotos. Aber sie zeigt mehr, nämlich ein Meer von Sternen am Himmel, ein Meer von Kieselsteinen am Boden und Blaise Pascals Idee von der doppelten Unendlichkeit und von der Aufhebung der Trennung von Makrokosmos und Mikrokosmos. Hinter der ersten Schicht von Steinen und Sternen bohrt sich das Auge teleskopartig bzw mikroskopartig in immer weitere neue Schichten der voran. „Ich bemerkte, daß ich eine Menge Steine aufbewahrt habe, die ganze Galaxien auf der Oberfläche trugen.“
Auch der Fotograf Hiroshi Sugimoto wirft ein metaphysisches Auge auf die Natur. Meer, Himmel, Nichts: Die Erde am Abend des zweiten Schöpfungstags nach der Trennung von Licht und Dunkel, Erde und Himmel. Und das menschliche Treiben ist im Grunde nicht viel mehr als nichts. Die Kamera beweist es. Richtet sie ihr objektives Objektiv auf eine bespielte Kinoleinwand, dann summieren sich die Küsse und Morde bald zu einem jungfräulichen weißen Fleck. Welch beruhigende Erkenntnis.
Jean-Luc Mylayne dagegen zeigt noch Interesse am flüchtigen Leben. In den letzten 20 Jahren hat er gerade mal 120 Vögel fotografisch eingefangen, ruhend oder im Abflug begriffen. Mit ihrem Biotop verschmolzen, werden sie manchmal fast unsichtbar: Diese Ausstellung zeigt keine Abbilder, sondern Suchbilder von der Natur.
Auch der Arte povera-Veteran Aligiero e Boetti rückt nicht mehr wie Cezanne oder so das einzelne Ding in den Bildmittelpunkt, sondern zeigt ein klassisches all over. Irgendwie im Gegensatz zu Suigimotos meditationseinladender Ursuppe zeigt er eine Zivilisationssuppe. „Tutto“ verwebt Obstschale, Zitrone, Sonnenbrille, Tuba, Pistoöe, Gitarre. Tausenderlei Alltagsschrott ergibt hier kein weiß, sondern kindliches, aber doch auch monumentales Kunterbunt. Und zwischendrin fliegt, paddelt, taumelt der Mensch. Ansonsten darf er bei dieser Ausstellung nur bei Neil Jenney auftreten. Auf einem so called „bad painting“. bk
bis 23. August. Ergänzend zur Ausstellung zeigt die Galerie Claudia Delank Fotos von Hiroshi Sugimoto bis 13.Juni
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