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Ein Dandy der Soziologie

Gesichter der Großstadt: Für den Kultursoziologen Nicolaus Sombart, der gestern 75 Jahre alt wurde, ist es überhaupt kein Widerspruch, elitär und zugleich links zu sein  ■ Von Ralph Bollmann

Nicolaus Sombart betreibt keinen Salon. Gewiß, der Kultursoziologe lädt seit 15 Jahren zu einem sonntäglichen Jour fixe Freunde ein in seine geräumige Gründerzeitwohnung beim Ludwigkirchplatz. Auf roten Sofas zwischen grünbespannten Wänden trinken sie dünnen Tee, essen trockenen Kuchen und pflegen „ein Stück bürgerlicher Gesprächskultur in dürftiger Zeit“. Als die Zeitungen vor einigen Jahren begierig über diesen „Salon“ berichteten, spielte Sombart zunächst mit. Daß daraus „ein Beruf“ wurde, der weit mehr Aufsehen erregte als seine Bücher, freute ihn weniger. Schon weil er „keine Dame“ sei, stellte er klar, könne man „nicht von einem Salon sprechen“, sondern „allenfalls von einem geselligen Kreis“.

Einen „echten“ Salon hingegen betrieb seine rumänische Mutter im Berlin der Vorkriegszeit. „Ich kann also sagen, daß ich im Salon meiner Mutter und der Bibliothek meines Vaters aufgewachsen bin“, schrieb Sombart in den Erinnerungen an seine „Jugend in Berlin“ zwischen 1933 und 1943. So ungeschminkt wie in dem 1984 erschienenen Buch war die behütete bürgerliche Welt während der Nazizeit nie dargestellt worden. Zwar standen in Grunewald immer mehr Villen jüdischer Eigentümer zum Verkauf, zwar sprach Sombarts Vater bei Kriegsausbruch 1939 tief deprimiert vom „Ende Deutschlands“ – doch das großbürgerliche Leben im Hause des Geheimrats Werner Sombart, dem neben Max Weber bedeutendsten Gründervater der deutschen Soziologie, ging nahezu ungestört weiter. „Ich bin jetzt so alt, wie mein Vater damals war“, zieht Sombart Bilanz, „seine tiefe Melancholie und Resignation verstehe ich heute viel besser.“

Aus dem Krieg zurückgekehrt, studierte Nicolaus Sombart in Heidelberg Kultursoziologie und promovierte 1951 bei Alfred Weber, dem jüngeren Bruder Max Webers, mit einer Arbeit über den Grafen Henri de Saint-Simon. Dem Denken der Frühsozialisten ist er bis heute treu geblieben: Fouriers Plan, alle Menschen in Schlössern unterzubringen, gilt ihm noch immer als „Utopie der Zukunftsgesellschaft“. Das „Leben im Schloß“ ist für Sombart, den Kritiker für einen Snob halten, die „eines Menschen allein würdige Lebensform“.

Derzeit schreibt Sombart an einem Buch über seine Studienzeit im Heidelberg der Nachkriegszeit, einem intellektuellen Laboratorium der späteren Bundesrepublik. Der Teilnehmerkreis der Seminare von Alfred Weber und Carl Schmitt liest sich rückblickend wie ein Who is who der späteren deutschen Eliten.

Im Anschluß an das Studium zog es den jungen Sombart nach Paris, wo er „das Leben lernen“ wollte. Drei Jahre blieb er dort in einem schäbigen Hotel mit dem großen Namen „Henri IV“. Unter dem Titel „Pariser Lehrjahre“ erschienen vor vier Jahren Sombarts Erinnerungen an jene Zeit, als die Damen der Pariser Gesellschaft dem preußisch-protestantischen Sproß der deutschen Männergesellschaft ihre Lektionen in ziemlich praktischer Soziologie erteilten. Den deutschen Soziologen hingegen wirft Sombart vor, jene erlauchten Kreise gar nicht zu kennen, die nach seiner Ansicht die Gesellschaft ausmachen.

Die folgenden 30 Jahre führte der Kultursoziologe das Leben eines Beamten. Beim Europarat in Straßburg baute er die Kulturabteilung auf, wo er eine gesellschaftspolitische Konzeption von Kultur propagierte und sich für ein „Recht auf Kultur“ einsetzte. 1982 führte ihn ein Aufenthalt am Wissenschaftskolleg nach Berlin zurück, um sich den Traum von einem Leben als „homme de lettres“ zu verwirklichen.

In seinen Büchern über Carl Schmitt (1991) und Wilhelm II. (1996) suchte Sombart die Frage seines Vaters zu beantworten, wie es zum „Ende Deutschlands“ kommen konnte. In radikalem Gegensatz zu den Vertretern der deutschen Historikerzunft sieht Sombart den letzten Kaiser nicht als Täter, sondern als Opfer – Bismarck persönlich habe ihn von langer Hand zum Sündenbock für seine eigene, verfehlte Reichsgründung aufgebaut, indem er Maximilian Harden eben jene Informationen über des Kaisers schwulen Freundeskreis zuspielte, mit denen der Publizist Jahre später den Monarchen als weich und unmännlich zu diskreditieren suchte.

Daß sich diese Interpretation nicht durchsetzen konnte, führt Sombart auf das „Sperrfeuer“ der deutschen Geschichtswissenschaft zurück, die vor hundert Jahren alle kulturhistorischen Ansätze verbannt hatte. Gestern wurde Sombart 75 Jahre alt. Am Freitag feierte ihn das Italienische Kulturinstitut mit einem Kolloquium über Casanova. Sombart sieht das Memoirenschreiben, nicht anders als der Italiener, als „erotischen Akt“.

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