: „Richtig“ zählen heißt gewinnen
In den Philippinen sind die heutigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein logistischer Alptraum. Das Wahlsystem lädt zu Manipulationen geradezu ein ■ Aus Manila Jutta Lietsch
In allen Teilen des Landes werden 3.700 Anwälte für uns bereitstehen, um Wahlfälschungen zu verhindern“, hat der Favorit bei den philippinischen Präsidentschaftswahlen, Joseph Estrada, angekündigt. Für die unabhängige Wahlbeobachtergruppe „Namfrel“ sollen 250.000 Nonnen, Priester und andere Freiwillige Wahlzettel und Urnen bewachen und nach der Auszählung die Ergebnisse schnell an die Zentrale weitergeben, damit niemand sie später manipulieren kann.
„Organisierten Wahnsinn“ nennt ein Politologe in Manila die Wahlen, die heute auf den über 7.000 Inseln der Philippinen stattfinden: 34 Millionen Stimmberechtigte wählen nicht nur ihren neuen Präsidenten samt Stellvertreter, sondern auch Senatoren, Abgeordnete, Gouverneure, Landräte und Bürgermeister. 100.000 BewerberInnen kämpfen um 17.340 Posten. In den Philippinen hat es noch nie Wahlen ohne massive Fälschungen gegeben. 1986 trieb es Diktator Ferdinand Marcos allerdings zu weit. Empört gingen Hunderttausende auf die Straße. Die „People Power“-Bewegung vertrieb Marcos darauf ins Exil.
Als 1992 die Politikerin Miriam Defensor-Santiagor bei den Präsidentschaftswahlen von Fidel Ramos besiegt wurde, sagte sie: „Ich habe die Wahlen gewonnen, aber die Auszählung verloren!“ Niemand rechnet damit, daß es heute anders sein wird – auch wenn Kardinal Jaime Sin die Politiker per Hirtenbrief ermahnte. Ramos, der nicht wieder kandidieren darf, rief gestern alle Beteiligten auf, ihre Leidenschaften zu zügeln: „Es ist nicht nur unsere politische Reife, die bei der kommenden Wahl auf dem Prüfstein steht. Sie wird auch zeigen, wie ernst wir unsere Demokratie nehmen.“
Doch in den Augen vieler philippinischer Politiker schließt die grundsätzliche Liebe zur Demokratie nicht aus, daß man dem eigenen Glück ein bißchen nachhilft. Vor allem, wenn man Millionen in den Wahlkampf gesteckt hat. Die offizielle Wahlkommission Comelec hat sich Sympathien verscherzt, als sie in den letzten Wochen alle Augen zudrückte. Das anachronistische Wahlsystem schreit geradezu nach Manipulation: Denn die Stimmen werden nicht nur per Hand ausgezählt, sondern die Urnen müssen auch über mehrere Stationen transportiert und bewacht werden. Alle Versuche, die Wahlen zu computerisieren und damit sicherer zu machen, verhinderte der Senat. Von den WählerInnen wird Nervenstärke verlangt: Auf 13 Seiten langen Wahlzetteln müssen sie nicht etwa ihre drei Dutzend KandidatInnen ankreuzen – sondern jeden Namen einzeln aufschreiben. Das dauert oft über eine Stunde. „Das ist selbst für gebildete Städter kaum zu bewältigen“, sagt Geschäftsmann José Concepción von der Wahlbeobachtergruppe Namfrel. Er bedauert zugleich die LehrerInnen, die gesetzlich „wegen ihrer moralischen Festigkeit und Ehrlichkeit“ dazu verdonnert sind, die Stimmen auszuzählen: Sie stehen unter großem Druck der örtlichen Politiker, das „richtige“ Ergebnis zu erzielen. Mit mobilen Telefonen, Faxgeräten und Computern werden die Namfrel-Freiwilligen, so hofft Wahlbeobachter Concepción, die Ergebnisse aber „blitzschnell nach Manila melden“ und damit Täuschungen erschweren.
Vor allem in den abgelegenen Provinzen, wo Familienclans oft seit Generationen herrschen, werden Posten und Pfründen gelegentlich mit Gewalt verteidigt. Aber auch in Manila und größeren Städten flogen Granaten in Parteibüros. Der dreimonatige Wahlkampf forderte rund dreißig Tote – etwa soviel wie bei den letzten Wahlen. Die Opfer gehörten zu allen Parteien. Soldaten wurden auf die südliche Insel Mindanao und in zahlreiche Distrikte beordert, um die Wahlen zu schützen. Mindestens eine Woche wird es dauern, bis die Ergebnisse der Präsidenten-, Senats-, und Parlamentswahlen offiziell bekannt sind. Die Auszählungen für lokale Ämter dauern etwa drei Wochen – viel Zeit für Manipulationen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen