Kommentar (siehe Seite 22): Verzweiflungstat
■ Näherinnen greifen zum Äußersten
Ein Hungerstreik ist vor der öffentlichen Selbstverbrennung oder dem Bombenanschlag diejenige Protestform, die am meisten Verzweiflung und Ausweglosigkeit ausdrückt. Ein schlimmes Zeichen, wenn nun sogar Frauen vom westfälischen Lande – Näherinnen, Mütter, Hausbesitzerinnen – vor dem Tor einer Delmenhorster Textilfirma in Hungerstreik treten, um ihre Arbeitsplätze zu retten.
Die Courage ist bewundernswert. Und der Delmenhorster Firma, die einer abhängigen westfälischen Firma die Aufträge streicht, kann man Geheimniskrämerei und Herzlosigkeit vorwerfen. Aber das Verschwinden fast der gesamten deutschen Textilindustrie zeigt, daß die Arbeiterinnen ihre Jobs nicht werden retten können.
Schließlich tragen wir alle, die wir finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, T-Shirts für 9,90 Mark und freuen uns über Schnäppchen. Textilien zu solchen Preisen sind von Näherinnen mit deutschen Tariflöhnen kaum zu produzieren. Da setzt die Abwärtsspirale an: Arbeitslose Näherinnen werden keine teure deutsche Wertarbeit kaufen, der Einzelhandel wird weiter knappsen, die Gewinnmargen der Textilfirmen werden weiter unter Druck stehen und es werden weitere Jobs verlorengehen. Der Status Quo ist nicht zu sichern. Die politische Aufgabe ist nun, den Näherinnen neue Perspektiven aufzuzeigen. Und weil die nicht in Sicht sind, ist Verzweiflung angebracht. Joachim Fahrun
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