"Das ist eine neue Qualität"

■ Immer mehr persönliche Drohbriefe an Jüdische Gemeinde. Verfassungsschutz sieht keine größere Bedrohung. Innenverwaltung prognostiziert Anstieg von antisemitischen Straftaten

Mitglieder der Jüdischen Gemeinde erhalten immer häufiger an sie persönlich adressierte antisemitische Briefe. „Ich bekomme schon seit Jahren Drohbriefe, in letzter Zeit hat sich das aber verstärkt“, sagt Julius Schoeps, Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. So seien an seine Privatadresse in den vergangenen Monaten teilweise drei bis vier antisemitisch-pornographische Pamphlete geschickt worden.

Die Briefe kämen, so Schoeps, aus dem Ausland – unter anderem aus der Schweiz, Schweden und den USA – und trügen meist offizielle Stempel von Großbetrieben, zum Beispiel Investmentfirmen wie die Credis Fund Service AG in Zürich. Der Historiker vermutet, daß die Briefe in die Unternehmen möglicherweise von MitarbeiterInnen eingeschmuggelt und dort freigestempelt werden.

Die Sendungen an Schoeps bestehen oft aus obszönen Zeichnungen. Zum Beispiel wird eine Figur gezeigt, auf der Schoeps' Kopf montiert ist, die gerade Geschlechtsverkehr mit einem Schwein hat. Die Adresse ist mit Zusatzbemerkungen versehen wie „an den Holocaust-Professor“ oder an den „Pseudoprofessor“. Schoeps hat mittlerweile Anzeige erstattet, bisher jedoch ohne Erfolg. Bei der Post AG sind die Briefe bisher noch nicht aufgefallen, obwohl alle Umschläge auf Rechtswidrigkeit geprüft würden. Gebe es entsprechende Hinweise, würde sofort der Staatsschutz eingeschaltet, sagt Post-Sprecherin Christiane Clasen.

Schoeps ist kein Einzelfall: Nach Angaben von Elisa Klapheck, Sprecherin der Jüdischen Gemeinde, landen in der Gemeinde ein bis zwei antisemitische Briefe wöchentlich. An Tagen wie dem 9. November seien es wesentlich mehr, dabei aber auch viele von „Psychopathen“. Immer häufiger würden Gemeindemitglieder auch Briefe nach Hause bekommen. „Das ist eine neue Qualität“, sagt Klapheck. „Während unter dem ehemaligen Vorsitzenden Heinz Galinski in den 80er Jahren die Briefe noch allgemeiner gegen Juden und die Gemeinde gerichtet waren“, so die Sprecherin, „sind es heute viel persönlichere Briefe.“ Die Schreiben seien anonym, es werde nicht ersichtlich, von welchem Personenkreis sie kämen.

„Zunehmend fühlen sich mehr Mitglieder durch Pamphlete und Anrufe bedroht“, hat auch Schoeps beobachtet. Der Verfassungsschutz sieht das indes anders: „Wir konnten in letzter Zeit nicht feststellen, daß die Bedrohung antisemitischer Art von Einzelpersonen zugenommen hat“, sagt Mitarbeiter Jürgen Zippel. Auch die Innenverwaltung sieht „keine neue Qualität“, so die Einschätzung von Staatssekretär Kuno Böse. Jedoch wolle er das Problem „keinesfalls herunterspielen“. Böse prognostiziert jedoch, daß antisemitische Straftaten „in diesem Jahr ansteigen werden“. Das habe bereits die wiederholte Schändung des Mahnmals an der Großen Hamburger Straße gezeigt. Böse kündigte an, „mit allen kriminalistischen Methoden die Absender der Schmähschriften herauszubekommen“. Insgesamt stieg die Zahl der von der Innenverwaltung registrierten antisemitischen Delikte von 79 im Jahr 1995 auf 96 im vergangenen Jahr. Klapheck kritisierte indes die „sehr breite“ Hilflosigkeit der Behörden bei antisemitischen Straftaten: „Die Innenverwaltung tritt nicht entschlossen genug dagegen ein.“ Auch würde sie immer nur reagieren und nicht von selbst agieren. Julia Naumann