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Ausgrabungen im Musik-Universum

■ Beim Philharmonischen Orchesterkonzert brillierte die Pianistin Emma Schmidt und dirigierte der Generalmusikdirektor Günter Neuhold Brahms' Vierte ganz unsoft

Der Name der Pianistin Emma Schmidt verbindet sich für das Publikum mit der Sicherheit, stets ausgefallene oder zumindest sehr sorgfältig zusammengesetzte Programme hören zu können. So hat sie vor zwei Jahren im Philharmonischen Konzert Erwin Schulhoffs Klavierkonzert interpretiert. Jetzt war im letzten Philharmonischen Konzert eine absolute Rarität, wenn nicht gar eine Ausgrabung zu hören: Das 1928 geschriebene Klavierkonzert des 1883 geborenen Josef Matthias Hauer, von dem es im normalen Handel keinen einzigen Tonträger gibt.

Im Gegensatz zu der Unbekanntheit seiner Kompositionen ist der Name Hauer aber relativ bekannt: Er hat nämlich lange vor Arnold Schönberg seine Kompositionsmethode atonal genannt und sie 1919 zu einem Zwölftongesetz entwickelt. 1940 war er der Meinung, daß die Ausarbeitung von Stücken nach dem Prinzip der „Zwölftonspiele“ keinen „schöpferischen“ Anteil mehr benötigt, daß im Gegenteil eine objektive Weltgesetzlichkeit widergespiegelt wird: „Die kosmische, unveränderliche, absolute Musik ist die Sprache des Universums, die Herz und Verstand befriedigende Offenbarung und Weltordnung.“ Und wie klingt das jetzt? Alle Expression scheint durch das rhythmische Peitschen bewußt ausgetrieben, das bewußt Konstruktive klingt zum Teil angestrengt. Ein achtminütiger Kraftakt, den Emma Schmidt fabelhaft bewältigte.

Das zweite Stück des Abends war eine Notlösung: Der vielbeschäftigte Wolfgang Rihm war mit seiner Auftragskomposition für die Philharmonische Gesellschaft, einem Werk für Klavier und Orchester, nicht fertig geworden. So spielte Emma Schmidt statt der geplanten Rihm-Uraufführung das 1979 geschriebene Klavierkonzert von Alfred Schnittke, dessen „Polystilistik“, wie er selbst seinen Stil nannte, in diesem Werk besonders reichhaltig ausgebreitet wird. Albert-Bässe und romantische Klangkaskaden, poetische Klangfarben und wiederum gewaltige rhythmische Power des wohl heute berühmtesten russischen Komponisten: Emma Schmidt kämpfte sich da erfolgreich durch – überlegen klangen sowohl die Strukturen als auch die Klangflächen. Sie konnte mit diesen beiden schwierigen Werken einen Riesenerfolg verbuchen.

Beide Konzerte begleitete Günter Neuhold mit dem Philharmonischen Staatsorchester gut, kam jedoch selbst erst richtig raus mit der Wiedergabe von Johannes Brahms Vierter Sinfonie in e-Moll. Es ist die Sinfonie, von dessen Hauptthema Hugo Wolf gehässig skandierte: „Ihm fiel – schon wie – dermal – nichts ein.“

Was ihm allerdings einfiel, hat der Komponist auf den Begriff „Arbeit“ gebracht, und diese quasi polyphonen Entwicklungen aus einem Kern schien Günter Neuhold durchsichtig nachvollziehen zu wollen. Sorgfältig genau waren vor allem unterschiedliche Stricharten, die immer andere Klangfarben ergeben. Daß die geplante Transparenz nicht organisch gelang, lag an einem häufig zu heftigen Drive, der aus vielen pianissimi ein laues mezzoforte machte. Ein Drive, der so manche Entwicklungen nicht von innen heraus gestaltete, sondern etwas gewaltsam aufsetzte. Man hörte wilde und gezackte Blöcke, das Gegenteil von „entwickelnder Variation“ – wie Arnold Schönberg das Komponieren Brahms' charakterisierte. Trotzdem kam mit diesem problematischen Ansatz genau dadurch etwas anderes sehr positiv rüber: Kein softer Feld-Wald-und-Wiesen-Brahms, wie wir ihn immer noch oft genug hören, sondern ein harter kompositorischer Kampf um diese Gattung, die Brahms nach Beethoven zunächst einmal für nicht mehr erreichbar hielt.

Ute Schalz-Laurenze

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