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Die Kneipe der Schädlinge

■ Die letzten Tage des DDR-Regimes oder: Warum der Wenderoman eine Groteske ist – Hans Joachim Schädlich liest aus seinem „Trivialroman“

Irgendwann, nach Tagen des selbstgewählten Exils in der einstigen Stammkneipe stehen sie wieder an der frischen Luft – und keiner kümmert sich um sie: Das alte Regime ist untergegangen, und das neue hat die einstigen Machthaber schon vergessen. Das ist, als ob der alte Honecker aus seinem Grab herausstiege und mit Mielke, Schabowsky und Markus Wolf scheel in die Sonne am Bremer Roland blinzelten: Ein Autogrammwunsch wäre wohl das Höchste an Aufmerksamkeit, was die vier Herren von drüben noch zu erwarten hätten.

Im Mittelpunkt von Hans Joachim Schädlichs „Trivialroman“ (der Titel) steht die alte DDR-Riege – leicht parabolisch zur unbedingten Wiedererkenntlichkeit verschoben. Mit dabei als einzige Frau, Clarissa, die der Autor den Herren als Prostituierte zugesellt. Die fängt ob der wiedergefundenen Frischluft vor der Kneipentür hysterisch an zu lachen. Die Helden ihres untergegangenen Reiches reagieren darauf mit doofen Sprüchen. Schädlichs Männern fällt eben nichts Klügeres ein: „Biber hat gesagt: Jetzt halt die Luft an! – Qualle hat gesagt: Der Könige Herz ist unerforschlich. – Ich habe gesagt: Die müssen doch blöd sein.“

Das sind Sätze, die selbst ein bißchen Luft brauchen, aber Schädlich hat Bauch, Stimmvolumen und Vorleselust genug, damit sie das kriegen. Und wenn Literatur, vorgelesen, auch oft ziemlich öde daherkommt, weil die nun mal selten für's Gehör gemacht ist, so mag das bei der Lesung heute abend in der Stadtwaage, ausnahmsweise einmal anders sein. In der Sprücheklopferei der trivialen Helden Schädlichs fühlt man sich so schauderlich geborgen, wie im Märchenreich der Hunde mit den Augen, groß wie Mühlräder. Des Spießers Heimat ist eben unerschöpflich: Im „Trivialroman“ befindet sie sich im Innersten der Macht, und die wird regiert von wortreicher Sprachlosigkeit.

Oben sitzt der Chef. Der hat das Sagen, weil er keinen ordentlichen Satz herausbringt. Die Macht ist die Macht und jenseits des Symbolischen, sprich Grammatischen angesiedelt: „Ich ...also ...meine Rede ...du ...äh ... ...ich rede ...jetzt, jetzt ...und ...also ...schreib das auf!“ sagt „ der Chef“, und sein Verleger „Feder“ schreibt eine lange Rede draus: „Das ...das ...also ...ausgezeichnet, Feder!“ Feder ist die platte, ganz papierne Version des opportunistischen Intellektuellen (wie hieß eigentlich der Herausgeber des „Neuen Deutschland“?). Einer, der vor die Macht zitiert wird, weil er sich mit ihr angelegt hat, und der verblüfft bemerkt, daß alles viel einfacher ist als bei Kafka.

So metaphysisch und unbequem ist der Zugang zum Reich der Gesetze gar nicht. An dem Türsteher kommt er vorbei, ohne groß Rätsel lösen zu müssen, und auch „Dogge“, des Chefs oberster Folterer, reagiert mit einem aufmunternden „Na, wer sagt's denn. Es geht doch!“ Klar geht's. Selbst seine Gedichte werden jetzt gedruckt und ein Westauto gibt's obendrauf.

Doch nicht um die Trivialität des Bösen geht es in dem Trivialroman, sondern um die seiner bösen Protagonisten. Lauter widerliche Biedermänner. Der 63jährige Autor Hans Joachim Schädlich aus der Gruppe der Biermann-Petitionisten – 1977 ausgewiesen – schreibt sich hier seine Existenz als „Schädling“ vom Leib. So einen lustigen Namen nämlich dichtete die Stasi ihm an – nicht im Roman, sondern in der Wirklichkeit der Berliner Staatssicherheit – und verwandelte ihn mit diesem sanften metonymischen Akt ins Unwesen par excellence. Nun schlägt Schädlich mit seinem späten Wenderoman zurück und verzaubert die Herren selber in Doggen, Ratten, Aale, Wanzen, Biber (allein Clarissa, die edle Prostituierte, darf ihren Eigennamen weiter tragen). Mit dem netten, kleinen Unterschied, daß die Verwandlungen im bunten Leben des „Trivialromans“ identifikatorisch ablaufen: „Qualle hatte gesagt: Du kannst mich Qualle nennen“. Man meint es ernst.

Wie die Tiere fallen sie denn auch übereinander her, als ihre Zeit vorüber ist und sie in der Bar, paralysiert, auf ihre Verhaftung warten. Das ist ziemlich eklig und ziemlich grotesk und ergibt heute abend bestimmt ein ganz anregendes Vorlesestündchen. ritz

Lesung heute, 13. Mai, um 20 Uhr in der Stadtwaage

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