: Mittelstand soll Ghettos stärken
■ Die AfB ist mit ihrer Forderung gescheitert, dem Mittelstand in Problemstadtteilen wie Tenever die Mieten zu kürzen
Ginge es nach der AfB-Fraktion in der Bürgerschaft, hätten in Zukunft nicht nur sozial schlechterstehende Menschen Anspruch auf die Bremischen Sozialwohnungen. Sie fordern sogenannte „Regionalfenster“ in Wohngebieten wie Blockdiek, Huchting, Kattenturm, Lüssumer Ring oder Osterholz-Tenever. Soll heißen: Die Fehlbelegungsabgabe für Menschen, die seit ihrem Einzug in die Sozialwohnungen zu mehr Geld gekommen sind, soll sinken, die Mietobergrenze ebenfalls. Damit sollen die mittelständischen Bewohner von Problem-Stadtteilen ermutigt werden, in ihrem Viertel zu bleiben, um Verarmungstendenzen des Stadtteils entgegenzuwirken.
Tatsächlich ist in den Wohnmaschinen der siebziger Jahre die Fluktuation der Bewohner riesengroß. Sobald sich der Wohnungsmarkt entspannt, ziehen die Besserverdienenden weg aus den Hochhäusern. In Tenever zum Beispiel gibt es im Jahr 20 Prozent Fluktuation. Rein rechnerisch ist nach fünf Jahren kein alter Mieter mehr da. Da wächst kaum Nachbarschaft.
Die Bürgerschaft lehnte gestern einen entsprechenden AfB-Antrag zur Einführung der Regionalfenster ab – die Idee sei nur ein „Mosaikstein“, aber kein volles Konzept gegen die Verarmung der Stadtteile, meinten unisono die Abgeordneten der Großen Koalition. Und die Grünen-Abgeordnete Caro Linnert wehrte sich dagegen, daß es eine „richtige soziale Mischung“ in diesen Vierteln geben könne: „Daß Armut einen Stadtteil kaputt macht, diese Meinung teilen wir nicht.“ Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) hatte die Kosten im Blick: Niedrige Mietobergrenzen und der Verzicht auf Fehlbelegungsabgaben können etliche Millionen weniger auf der Einnahmeseite bedeuten.
Seit Anfang der 90er Jahre ist die Zahl von sozialen Mietwohnungen im stadtbremischen Bereich beständig und rapide gesunken: 1990 gab es noch 60.000 solche Wohnungen, 1997 waren es noch 32.000. Im Jahr 2002, so die Schätzung, werden es gerade einmal 10.000 sein. Menschen mit B-Schein haben es immer schwerer, tatsächlich eine Sozialwohnung abzubekommen. Der Grund für den drastischen Rückgang: 30 Jahre nach dem Bau läuft die Mietpreisbindung in den Wohnblocks aus – dann dürfen die Wohnungen auf den freien Markt geworfen werden.
Trotz der AfB-Schlappe ist erst vor kurzem ein „kleines“ Regionalfenster eingeführt worden. Für die Mieter der 847 Wohnungen der Gewoba in Osterholz-Tenever gilt seit kurzem, daß Menschen, die inzwischen mehr verdienen, nicht unbedingt mit einer Fehlbelegungsabgabe aus dem Stadtteil vergrault werden sollen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Gewoba, Ersatz für die dadurch belegten Sozialwohnungen bereitzustellen – aus ihrem Wohnungsbestand des freien Marktes. Das Kalkül: Würden die Besserverdienenden wegziehen, würden die sicheren Einnahmen flöten gehen, und die ärmeren Nachmieter würden dem Staat mit ihren Mietzuschüssen auf der Tasche liegen. cd
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