Hilfsfeminismus an der Platte

Ein Netzwerk weiblicher DJs will die männliche Musikszene aufmischen und die Verhältnisse zum Tanzen bringen  ■ Von Volker Marquardt

Beim Namen fängt es schon an. Nix D-Jane. Nix She-Jane. „Hier kommt doch kein Tarzan vorbei“, wendet Silke Schulz vom weiblichen Soundsystem Sugar Chicken ein. „Außerdem wollen wir nicht gebucht werden, weil wir Frauen sind, sondern einfach ein gutes Ragga-Soundsystem.“ Da redet sich die angehende Lehrerin immer noch um Kopf und Kragen. Zuviel war die Rede von Girlies, Ladies oder sogar Partymäuschen, statt von ernsthaften Künstlerinnen. Nur noch selten arbeiten die Sugar Chicken an den Turntables mit Mannsbildern zusammen, denn es gibt mehr als genug Frauen, die nicht gebucht werden.

„Warum sollen wir eines der wenigen Frauennetzwerke auflösen, wenn es so viele Netzwerke für Männer gibt?“, stimmt auch Luka Rothmann alias Luka Skywalker vom DJ-Kollektiv Top Ten, dem mittlerweile neun weibliche DJs angehören, diesem Lamento zu. In der Tat gibt es, obwohl das Thema in der Musikbranche etabliert scheint, außer Marusha und Kemistry & Storm vom Metalheadz-Label immer noch so gut wie keine international bekannten weiblichen Plattenleger. Bei den „Official Eastern Hemisphere Championships“, einer Art Europameisterschaft der DJs, trat Anfang Mai in der Großen Freiheit keine einzige Frau an. Beim Nachwuchs sieht es nicht viel besser aus. Unter den Hunderten von Bewerbern für die erste DJ-Akademie in Berlin waren gerade mal 5 Frauen.

Dabei ist die Szene natürlich nicht offen frauenfeindlich – das ließe sich nicht mit ihrem alternativen Selbstverständnis verbinden. „Da sagt natürlich keiner, 'Frauen können nicht auflegen'“, meint Anne Philippi von Top Ten: „Die Mechanismen in der Musikszene sind viel subtiler.“ Aber auch hier werden Frauen bestimmte Rollen zugewiesen, jenen aus dem Mainstream der Gesellschaft nicht unähnlich: entweder Muse oder Partyhase. „Bis hierhin und nicht weiter“, heißt es regelmäßig, wann immer es um die Fleischtöpfe geht. „Hilfsfeminismus“ hat der Pop-Theoretiker Diederich Diederichsen das einmal genannt.

Wer diese Grenze überschreitet, wird von den Platzhirschen als „Bedrohung des Männerdings Musik“ angesehen. So stand Jessica Nitschke, als Kendie Tenk ebenfalls bei Top Ten, dem Musiker Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen bei seinen elektronischen Soloausflügen mit Rat und Tat zur Seite, ohne dafür zunächst als Mitproduzentin erwähnt zu werden. „Frauen werden zwar als kostenlose Gefährtinnen akzeptiert“, resümiert sie ihre Erfahrungen. „Um eigentlich selbstverständliche credits müssen sie aber immer noch kämpfen.“

An geschlechtlichen Vorurteilen mangelt es auch nicht. So spricht der selbsternannte DJ-Experte Ulf Poschardt (DJ Culture) allen Ernstes von einer Vorliebe weiblicher DJs für Drum'n'Bass, weil die „tiefen Bässe vor allem den Unterleib ansprechen“. Haltungen dieser Art ließen die feministische Kulturkritikerin Julie Burchill zu dem niederschmetternden Urteil kommen, daß Frauen in extrem konservativen Milieus immer noch bessere Aufstiegschancen besäßen als in alternativen Szenen.

Mit solchen Verhältnissen wollen sich die neun DJs, Medienarbeiterinnen und Musikerinnen von Top Ten natürlich nicht abfinden. Gegenseitig schanzen sie sich Aufträge zu und feuern sich bei ihren Auftritten, wie am vorigen Wochenende bei einer Atelierparty in Hammerbrook, gegenseitig an. Denn außer Enthusiasmus und einer Plattensammlung besitzen DJs keine Qualifikation. „Wen interessieren schon langweilige, picklige Typen, die gut mixen können? Viele von diesen Jungs machen“, findet Luka Skywalker, „ihre Sets für andere DJs. Wir machen sie für die Gäste.“

Dazu bedienen sie sich, in Zeiten der Postmoderne beinahe schon obligatorisch, gezielter Verwirrungen. So taucht inmitten eines House-Sets schon mal ein AC/DC-Klassiker auf. Auch im Reich der Zeichen versuchen sich Top Ten, klaren Zuschreibungen zu entziehen, um von der technoiden Ästhetik der DJ-Szene wegzukommen. Gleich ihr erstes Plakat zierten nicht computergenerierte geometrische Figuren, sondern ausgerechnet das Konterfei der Rock'n'Roll-Röhre Joan Jett. Diebisch freuen sie sich noch heute über das Plakat für eine Veranstaltung in der Roten Flora. Dort glänzte Anfang des Jahres ein eleganter Frauenschuh mit Pfennigabsatz von den Plakatwänden. „Everybody dance to 10 DJs from Halston, Gucci and Fiorucci“, lautete das Motto, das die Glitzerwelt der Mode in die Schanze holte. So bringen Frauen ein wenig die Verhältnisse zum Tanzen.