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Ein Job mit guten Aussichten

Der höchste Arbeitsplatz Berlins: 600 Meter über der Stadt kreist der Verkehrsflieger und meldet Staus am Boden. Unter den Wolken ist die Freiheit noch fast grenzenlos  ■ Von Bernhard Pötter

„Wollen Sie mal steuern?“ 600 Meter über Potsdam nimmt Erhard Anders die Hände vom Lenkrad. Leicht verkrampft hockt der Reporter im Cockpit der Cessna und starrt durch den Propeller nach vorn. „Ziehen am Lenkrad heißt Steigen und Drücken heißt Fallen, rechts und links steuern wie beim Auto.“ Wie beim Auto? Selbst auf den schlechtesten Straßen schiebt einen eine Windböe nicht einfach so um ein paar Meter zur Seite oder läßt das Gefährt ins Luftloch absacken. Die Nackenmuskeln verspannen sich. Das Lenkrad aus schwarzem Hartplastik wird von den schwitzenden Händen glitschig.

Erhard Anders sitzt links auf dem Pilotensitz und späht nach unten. „Ein ruhiger Tag heute“, ruft er gegen das Motorengebrumm. Am Boden erstreckt sich die Autobahn nach Hannover bis zum Horizont als schnurgerade weiße Linie. Auf den Knien hat Anders ein Stück Papier, auf dem er sich fleißig Notizen gemacht hat: Eine Auffahrt zur Autobahn ist gesperrt, stop and go auf der Stadtautobahn, dichter Verkehr in der Innenstadt, Stau vor dem Brandenburger Tor. Alle halbe Stunde rückt Anders den Kopfhörer zurecht, legt einen Schalter am Armaturenbrett um und fängt an, die Lippen zu bewegen.

Am Boden spitzen die Autofahrer jetzt die Ohren. Denn Anders' Durchsage, im Flugzeug nicht zu hören, dringt bei ihnen aus dem Autoradio. Erhard Anders hat einen der höchsten Arbeitsplätze Berlins. Er ist „Verkehrsflieger“ und arbeitet für den Radiosender Antenne Brandenburg vom ORB. Zweimal täglich klettert Anders auf dem Flugplatz Eggersdorf östlich von Berlin in seine Cessna und nimmt für zwei Stunden Kurs auf die Verkehrsknotenpunkte Berlins. Mit dem Überblick aus der Höhe versorgt er die Autofahrer mit Informationen, wie diese dem Stau ein Schnippchen schlagen können – oder auch, wie lange sie noch festsitzen. Mit knapp 200 Stundenkilometern kurvt das Flugzeug mit dem Funknamen „Traffic Delta“ durch den Himmel über Berlin. Privatflugzeuge müssen mindestens 600 Meter Höhe einhalten, Verkehrsflieger gehen schon mal bis auf die Hälfte runter. Hubschrauber von Polizei, Bundesgrenzschutz oder Rettungsflieger dürfen im Stadtgebiet sogar landen. Das aber hat Anders nicht nötig. Mit einer Tankfüllung kommt er in vier Stunden etwa 800 Kilometer weit.

Im Gegensatz zum Gedrängel auf der Erde ist der Himmel verkehrstechnisch das Paradies. Nur ab und zu schwirrt ein Hubschrauber vorbei, von oben sieht man Flugzeuge auf den Flughäfen Tempelhof oder Tegel starten. Am Horizont sinkt eine Verkehrsmaschine in die Anflugschleife auf Tegel. Bei soviel Platz stört es nicht, wenn der Pilot mal eine Minute nicht nach vorn sieht.

Erhard Anders ist am Himmel

ein alter Hase. Seit fast 40 Jahren hat er seinen Pilotenschein, zu DDR-Zeiten spritzte und säte er vom Flieger aus. Fast 12.000 Stunden seines Lebens hat er in der Luft verbracht, 80.000 Starts und Landungen hinter sich gebracht. Jetzt ist er Fluglehrer und verdient sein Geld mit Rundflügen, Unterricht und der Arbeit für Antenne Brandenburg.

Unangenehm wird die Arbeit vor allem bei Dunkelheit, tiefen Wolken und schlechtem Wetter, so Anders. „Wir fliegen ja auch im Winter abends auf Sicht.“ Seine französische Cessna, Baujahr 1974, muß laut Vorschrift alle zwei Wochen zur Inspektion, nach 2.000 Flugstunden wird der Motor ausgetauscht, denn einen Aussetzer mitten über der Hauptstadt kann er sich nicht erlauben. „Wenn der Motor weg ist, kann ich noch etwa fünf bis acht Kilometer segeln“, meint Anders – wenn ihm das am Fernsehturm passieren sollte, müßte er sich einen Park oder

Sportplatz zum Notlanden suchen. Schwierig wird es ab und zu im Winter, wenn die Tragflächen vereisen. Dann heißt es, so schnell wie möglich nach Hause fliegen.

Von höherer Warte aus betrachtet erscheinen Berlin und Umland sehr grün, sehr klein und sehr ordentlich. Kleine bunte Punkte stechen Spargel auf den Feldern oder bewegen sich über ein Fußballfeld. Schwimmbäder leuchten hellblau nach oben, Spielzeugeisenbahnen gleiten über die S-Bahngleise, Autos fahren wie an der Schnur gezogen.

Nur einmal, über Köpenick, wird es plötzlich eng am Himmel: Ein anderes Sportflugzeug nähert sich bis auf fünfzig Meter und wippt mit den Flügeln. „Ein Kollege, der für die anderen Radiosender arbeitet“, meint Anders. Ein Winken, ein Flügelwippen, und der andere dreht ab. Dann herrscht bis zur nächsten Sendung wieder Ruhe am Himmel – nur der Motor dröhnt vor dem Cockpit.

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