Bürger machen Wind

Zum Beispiel Bredstedt: Wenn die Bevölkerung ihre Windkraftanlagen selbst errichtet, haben es Gegner schwer  ■ Von Michael Franken

Georg Löser hat eine Vision. Der Energieexperte des BUND wühlt in seinen Unterlagen, zieht unter einem Stapel Papiere ein dreiseitiges, abgegriffenes Dokument hervor. „Die Stromversorgung in Deutschland würde sich komplett verändern, wenn unsere Forderungen sich in den nächsten fünf Jahren durchsetzen“, glaubt Löser. Der Windkraft-Befürworter träumt von einer Volksbefreiungsbewegung, die genau weiß, woher der Strom aus der Steckdose kommt – nämlich aus der unmittelbaren Nachbarschaft eines Bürgerwindparks. Ein Eckpfeiler seines Energieszenarios: Schafft Tausende Bürgerwindparks, und den Strommonopolen wird angst und bange. Löser: „Ein Milliardengeschäft läßt sich durch die Windenergie demokratisieren, effizienter gestalten und die Umweltrisiken würden zwangsläufig kleiner.“

Allein in diesem Jahr werden die rund 5.200 Windkonverter zwischen Nordseeküste und Bodensee etwa drei Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren. Bundesweit ist das zwar erst knapp ein Prozent des gesamten Strombedarfs, aber in manchen Regionen wie in Schleswig-Holstein und auch in der Eifel deckt die Windenergie davon schon mehr als zehn Prozent. Somit ist die Windenergie nach der Wasserkraftnutzung die zweitwichtigste regenerative Energiequelle in Deutschland geworden. Und das in einer Rekordzeit von wenigen Jahren. Es könnte noch mehr werden, wenn die Bevölkerung den Ausbau der Windenergie aktiv mitgestaltet.

Im Kreis Nordfriesland beispielsweise hat Hans-Heinrich Andresen allen Skeptikern zum Trotz gezeigt, wie eine Handvoll Bürger ganz locker im Jahresdurchschnitt mal zehn Millionen Kilowattstunden Strom aus 12 Windrädern produzieren können. Im November 1991 wurde die „Bürgerwindpark Bredstedt Land GmbH“ gegründet. Per Zeitungsinserat wollten Andresen und sein Mitstreiter Hans-Jakob Paulsen weitere Bewohner aus Bredstedt und Umgebung für den geplanten Windpark gewinnen. „Wir haben von Anfang an darauf geachtet, daß keine Fremdinvestoren in das Projekt einsteigen“, sagt Andresen. Das schaffe nur Unfrieden und im Dorf ein Klima von Neid und Mißgunst. Bis zum Jahresende 91 hatten 28 Privatpersonen, darunter überwiegend Landwirte, aber auch Beamte, Arbeiter, Angestellte und Kleinunternehmer ein Investitionsvolumen von über 14 Millionen Mark aufgebracht. Für die positive Resonanz der Genehmigungsbehörden bei der Gemeinde, beim Kreis und auch beim Land war entscheidend, daß das Projekt ausschließlich von Einheimischen realisiert werden und sämtliche Auftragsarbeiten an Unternehmen in der Region Bredstedt vergeben werden sollten. Die mit dem Windpark verbundene Wertschöpfung sollte vor Ort bleiben, lokale Betriebe profitieren vom Bau der zwölf Konverter. Windgutachten wurden erstellt, erst danach begannen die Verhandlungen der Betreibergesellschaft mit den Landbesitzern. „Allen Grundstückseigentümern wurde pro Windkraftanlage dieselbe Pacht geboten“, sagt Andresen. Doch damit nicht genug. Selbst die Landwirte, deren Grundstücke nur für die Kabelverlegung benötigt wurden, erhielten eine finanzielle Entschädigung. „Niemand im Ort fühlte sich übergangen, alle wußten, was geplant war, was auf sie zukommt und wer hinter dem Projekt steht“, so das Resümee des Windmüllers Andresen. Bis zur Aufstellung der ersten vier Enercon-Windmühlen vergingen nur acht Monate. Es folgten vier weitere Nordtank-Mühlen und zum Schluß vier Vestas-Anlagen. Heute laufen die Konverter problemlos.

Doch das Dorf hat sich verändert, und zwar positiv. Die Bürgerwindfarm hat einen neuen Zusammenhalt geschaffen. „Bei uns können die selbsternannten Landschaftsschützer nicht landen. Dann müßten die gegen ein ganzes Dorf Sturm laufen“, meint Hans-Jakob Paulsen. Die Amortisation hoffen Andresen und Paulsen spätestens in zwei Jahren zu erreichen. Ein positiver Nebeneffekt für die zahlreichen Landwirte, die sich an dem Windpark beteiligt haben. Das weiß auch die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. „Viele Gesellschafter in Bredstedt sind Familien mit einem landwirtschaftlichen Betrieb. Die Windkraft sichert ihnen ein zweites finanzielles Standbein und trägt dazu bei, ihren Betrieb zu erhalten“, meint Kammer-Mitarbeiter Wolfgang Eggersglüß.

Bredtstedt ist kein Einzelfall. Beim Bundesverband WindEnergie (BWE) in Osnabrück weiß man, daß Bürgerwindparks, die unter Beteiligung der Ortsansässigen realisiert werden, kaum mit großen Problemen konfrontiert sind. In 20 Jahren ließen sich im Rahmen einer ökologischen Energiewirtschaft bei halbiertem Stromverbrauch zehn bis 20 Prozent der elektrischen Energie durch Windkraft decken. So jedenfalls lauten die optimistischen Prognosen der Experten des Öko-Instituts in Freiburg. Dazu wären rund 20.000 Megawatt an elektrischer Windkraftleistung erforderlich. Umgerechnet würde dies einer Zahl von maximal 20.000 Anlagen zu je 1.000 Kilowatt entsprechen. Konkret: vier Anlagen verteilt auf 5.000 Standorte. Die Zahl relativiert sich zwangsläufig, wenn man weiß, daß es in Deutschland rund 60.000 Ortschaften gibt und in manchen Regionen wie in Bredtstedt durchaus von den Bürgern vor Ort auch mal mehr Windmühlen finanziert werden. Wenn die Bevölkerung hinter „ihren Windmühlen“ steht, laufen die Antiwindkraftargumente der Stromlobby ins Leere. „Für die Bürger ist das Windrad dann nicht nur Symbol einer Energiewende, es ist auch ein Stück erlebter Energiezukunft“, meint Heinrich Bartelt vom BWE in Osnabrück. Bartelt ist davon überzeugt, daß Organisationen wie der Bundesverband Landschaftsschutz (BLS) dann kaum eine Chance haben, mit ihrer Propaganda gegen die Windenergie zu landen.

Diese Erfahrung machte auch Matthias Kynast, Windparkplaner aus dem sauerländischen Neuenrade. Kynast ist ein radikaler Befürworter von Bürgerwindparks. Unter seiner Federführung haben 439 Bürger an fünf Standorten im Sauerland Windmühlen finanziert. Schwierigkeiten mit selbsternannten Landschaftsschützern gab es bisher nicht. Für Kynast hat die Windenergie nur dann eine Perspektive, wenn die Planer den Bürgern klarmachen können, daß der Einstieg in die Windkraft zu einer Emanzipation und zu mehr Autarkie von der Macht der Strommonopolisten führt. „Es kann auf Dauer nur um eine umweltfreundliche, demokratische Energiewende gehen, um mehr nicht“, meint Kynast. Seine Bilanz: Wenn Windparkprojekte als lukrative Investition für Wohlbetuchte bejubelt werden, haben die im BLS organisierten Gegner der Windenergie leichtes Spiel.

Insgesamt acht Windparks sind in den vergangenen zehn Monaten allein deshalb durch den BLS gekippt worden, weil die Planer grobe Fehler gemacht hätten. Geplatztes Investitionsvolumen: mehr als 400 Millionen Mark. Häufig seien nur die Entscheidungsträger auf Gemeindeebene über die laufenden Projekte informiert worden. Viel zu spät sei eine detaillierte Information der Bevölkerung erfolgt. „Das macht doch viele Leute stutzig. Und es stellt sich dann für manchen die Frage, ob die Planer etwas zu verbergen haben“, so Matthias Kynast. Den Stromriesen könne doch nichts Besseres zur Verhinderung der Windenergie passieren. Das Ergebnis in vielen Fällen: Anti-Windkraft-Bürgerinitiativen machen Druck. Für Kynast steht deshalb fest: „Der Ausbau der Windenergie ist vor allem davon abhängig, ob es der Windkraftlobby gelingt, einige hunderttausend Menschen für Windparks zu gewinnen.“

Seine Argumente klingen überzeugend. Bisher stehen erst 200.000 Bürger als Anteilseigner hinter 5.200 Windmühlen. Über Bürgerwindparks könnten bald zwei Millionen hinter mehr als 10.000 Anlagen stehen. „Ein riesiges Beschäftigungsprogramm könnte durch Bürgerwindparks auf regionaler Ebene initiiert werden“, erklärt Heinrich Bartelt vom BWE. Dann hätte es die Anti- WKA-Front schwer, den Aufbau einer umweltverträglichen und bürgernahen Stromversorgung zu blockieren.