: Sein allerletzter Vorhang
Frank Sinatra, „The Voice“, ist tot. Er war der erste Popstar der nichtklassischen Musikgeschichte. Allen Nachfahren zeigte der Sohn sizilianischer Einwanderer: Schlechte Manieren, selbst Verbindungen zur Mafia schaden der Showkarriere nicht – im Gegenteil ■ Von Jan Feddersen
Daß ihm nicht mehr viel Zeit auf Erden bleiben würde, war spätestens seit jenem Tag Anfang März 1994 klar. Da brach er im kalifornischen Richmond während eines seiner unzähligen Abschiedskonzerte auf der Bühne zusammen: Ol' Blue Eye, sichtlich klapperig in den Gelenken, mürbe die Stimme, konnte nicht mehr. Vielleicht waren es schon damals bemitleidenswerte Anzeichen von Alzheimer, möglicherweise auch nur Altersschwäche, geschuldet einem lebenslangen Konsum von Drogen wie Alkohol und Nikotin.
Frank Sinatra war nicht mehr der alte. Ein Greis, der sich mühsam am Mikro festhalten mußte. Längst nicht mehr der gefürchtete Raufbold, der Choleriker, nicht der sentimentale Weltschmerzler und leidende Frauenliebhaber. Man zollte ihm damals mit warmherzigem Applaus den nettesten Beifall seiner Laufbahn. Vorgestern starb Frank Sinatra, „The Voice“, im Alter von 82 Jahren in einem Krankenhaus von Los Angeles an Herzversagen.
In US-amerikanischen Nachrichtensendungen nimmt sein Tod einen prominenten Platz ein. Sein Testament liegt auf allen gängigen Zusammenstellungen vor: „My Way“. Der Song, in den USA eines der beliebtesten Stücke bei Beerdigungen, sagt, wie Sinatra sich selbst am Ende verabschiedet sehen wollte: „And now, the end is near... and so I face the final curtain“ – Jetzt, wo das Ende naht, sehe ich dem letzten Vorhang entgegen. In dem Evergreen formulierte Sinatra eine Art Verzeihung für alle, die seine Launen aushalten mußten – und für alle, die sich mit seiner Musik an schöne Lebensabschnitte erinnern: Bitte wißt, daß ich es nie böse gemeint habe.
Frank Sinatra – das war in den USA ein Volksheld, der erste Popstar der nichtklassischen Musikgeschichte. Am 12. Dezember 1915 in Hoboken geboren, wuchs der später größte Showman der USA gegenüber vom glitzernden New York Manhattans auf. Keineswegs in ärmlichen Verhältnissen, wie es in Biographien der siebziger und achtziger Jahre hieß. Seine Mutter verdiente sich Geld als Engelmacherin, sein Vater tat sich als Preisboxer und Feuerwehrmann hervor. Die Sinatras – eine sizilianische Einwandererfamilie mit dem Willen, es zu etwas zu bringen.
Chancen, die gesellschaftliche Stufenleiter ganz emporzusteigen, gab es indes nur wenige: Als Italiener stand man zwar besser als die Schwarzen da, aber man hatte keine britischen Vorfahren. Sinatra jr. wollte ursprünglich Sportjournalist werden – und wurde doch Sänger. 1937 gewann der schmächtige Mann mit seiner Band The Hoboken Four einen Rundfunkgesangswettbewerb. 1939 wurde er Sänger im Orchester von Harry James, 1940 rückte er in die Combo des legendären Tommy Dorsey auf.
Der brachte ihm jene Atemtechnik bei, bei der es nicht auf ein fulminantes Stimmvolumen, viel mehr auf feinste Phrasierungen und Modulationen ankommt. Die Zeiten waren günstig für einen wie ihn. Auf der Bühne standen konkurrierend Sänger, die smart und ohne Soloattitüden ihre Lieder abspulten. Meist für ein Publikum, das nur nett unterhalten werden wollte – Musik zum Dinner, Swing, der beim Geklapper des Bestecks nicht weiter stört.
Schwarzen wie Billie Holiday oder Louis Armstrong blieben im Mainstream nur die Flußufer vorbehalten. Sinatra konnte so unangefochten eine technische Neuerung nutzen: Er brauchte nicht aus dem Orchestersound hervorzugrölen, mühelos nutzte er das – Mikrofon. In das konnte er hauchen und so etwas wie Baratmosphäre entfalten, eine Intimität, die perfekt die Illusion bediente, allein mit ihm zu sein, verführerisch, apart, dezent, nicht vordergründig geil, dafür – besser, viel besser! – den Sehnsüchten nach der Ewigkeit im One-night-stand Zucker gebend. Neu war auch, daß Sinatra nur scheinbar von sich selbst sang. Woher hätte er auch das Leid, den Kummer, die Tragik erfahren sollen? Auch hier – der Neandertaler aller Popstars. Einer, dessen Songs nicht mehr aus dem Leben schöpften. Vielmehr hatte plötzlich das Leben Mühe, den Aufregungen der Lieder hinterzuhecheln.
Am 12. Oktober 1944 durfte Sinatra seinen ersten (Show-)Höhepunkt genießen. Amerikanische Soldaten kämpften irgendwo in Europa gegen die Nazis, für den Way of life ihrer Nation – und Sinatra entzückte derweil die Heimat. Dreißigtausend wimmernde, schreiende, leidende, sexgierige Teenager (die damals noch nicht so hießen) belagerten am New Yorker Times Square das Paramount-Kino. Der erste Boy aller Boygroups: Einer, der dem zehn Jahre darauf sich etablierenden Rock 'n' Roll die Möglichkeit eröffnete, offener – und rhythmischer – über Sex zu singen. Sinatra war das Methadon vor der Droge: Mit ihm lernte eine ganze Nation, daß private Gefühle nicht peinlich sind. „I got you under my skin“, „The Lady is a tramp“: Oldies but goldies im Erinnerungskästchen eines jungen Landes, das in seinen Gründungsmythen auf protestantische Tugenden wie Arbeit und Lustverzicht hielt.
Ende der vierziger Jahre zeigte sich, daß der kleine, blauäugige Mann Stehvermögen hat. Seine Karriere war mitnichten eine, die nur einen Sommer hielt. Zwar benahm er sich schon damals öfter als die amerikanische Ostküstenelite daneben. Aber Sinatra war längst zu sehr Star, als daß die indignierte Öffentlichkeit ihm hätte etwas anhaben können. Er war ein American Hero, ein Held, der den feinen Pinkeln zeigte, daß man auch aus der Vorstadt wie Hoboken kommen kann, ohne sich deshalb schämen zu müssen.
Die Times erkannte in der Begeisterung für Sinatra schon damals: „Hier haben wir einen Künstler, der zwar aus dem wildesten, selbstsichersten Volk stammt, das die Welt überhaupt kennt, der sich aber trotzdem entschlossen hat, jener Schüchternheit Ausdruck zu verleihen, die auch aus der prahlerischsten Seele nicht vertrieben werden kann. All jenen, deren Männlichkeitsideal aus Kraft, Stämmigkeit und Selbstsicherheit besteht, wagt er zu bedeuten, daß so ein Mann unter seiner erdrückenden Überheblichkeit noch immer ein furchtsames Kind ist, das im Dunkeln vor Angst weint.“ Kein anderer Sänger hatte diese Ambivalenz zu bieten, niemand konnte deshalb so sehr den Respekt der Männer auf sich ziehen – und die Begierde der Frauen.
Anfang der fünfziger Jahre versackte sein Stern ein wenig. Sinatra war kein armes Schwein, selbst in schlechtesten Jahren mußten seine Steuerberater eine halbe Million Dollar pro Jahr buchhalterisch betreuen. Doch das war einem Manne nicht genug, der doch der größte von allen werden wollte. In dem Antikriegsfilm „Verdammt in alle Ewigkeit“ gab der inzwischen in Kalifornien lebende Sänger den Soldaten Maggio – zum Lohn für diese berührende Rolle bekam er im Jahr darauf den Oscar.
Frauen pflasterten seinen Weg, Prügeleien auch, Alkoholexzesse sowieso. Doch ihm schadeten diese Eskapaden nicht, im Gegenteil. Gerade die Nähe zum Mafiamilieu, seine lifestyligen Grauzonen zur Zockerszene von Las Vegas machten ihn nur noch beliebter. Sinatra wußte offenbar: Ein Skandal ist wichtiger als zehn nüchterne Galas. Seine Liebesgeschichte mit Ava Gardner – einem der beliebtesten Pin-up-Girls der US-Männer – bewegte das halbe Amerika. Sinatra unterbrach einmal sogar ein Konzert „nur für eine Minute“, um zu überprüfen, ob seine Angebetete in Venedig auch wirklich immer da ist, wenn er sie braucht. Nach einer Stunde kam Sinatra wieder auf die Bühne zurück – und wurde nicht einmal ausgebuht.
In den sechziger Jahren unterstützte er den zweiten prominenten Schürzenjäger der Nation, Präsident John F. Kennedy. Das heißt nicht, daß Sinatra die Ziele der Demokratischen Partei immer unterstützte – in den achtziger Jahren galt seine Zuwendung einem B- Western-Schauspieler namens Ronald Reagan. Im Zweifelsfall entschied sich Sinatra stets für den Haudegen. Für einen 68er-Kandidaten – wie 1972 George McGovern als gescheiterter Präsidentschaftskandidat der Demokraten – hatte der langsam alternde Sinatra nur (Altherren-)Spott übrig: „Ist das überhaupt ein Mann?“
In den späten Sechzigern war Sinatra Mitglied des „Rat Packs“ – neben ihm die Kumpane Dean Martin, Shirley McLaine, Sammy Davis jr.: Ein rüder Männerhaufen plus rauhbeiniger Dame, deren Shows in der Daddelautomatenstadt Las Vegas reüssierten, aber für die große Verehrung der New Yorker nicht mehr reichte. Flower Power, Hippies, Woodstock – es war nicht mehr die Zeit Sinatras.
Plötzlich entdeckten die Kritiker Flecke auf Sinatras weißer Weste, durfte gesagt werden, daß die rassistischen Sprüche übel sind und daß schlechte Manieren sich nicht gehören. Sinatra – ein spät erkanntes Arschloch. Damals schrieb Bert Kaempfert auch den letzten Hit für ihn: „Strangers in the night“. Doch der Sänger mochte den Song nicht – und hat ihn konsequenterweise auf seinen letzten Deutschlandtourneen immer besonders knarzend gesungen.
Vor sechs Jahren war Sinatra endgültig reif für Friedensschlüsse von allen Seiten. Produzent Phil Ramone entwarf das Konzept für eine Duett-CD, auf der Sinatra seine Klassiker mit Popgrößen der Gegenwart neu einspielt. Am Ende schworen selbst Frauen wie Aretha Franklin oder Barbra Streisand – über die sich Sinatra noch zwanzig Jahre zuvor abfällig geäußert hatte –, ihn als einen der größten Kollegen zu verehren und am Grab zu beweinen.
Es werden viele Krokodilstränen darunter sein, er hat schließlich viele Menschen im Laufe eines leidenschaftlichen Lebens getreten, beleidigt und gekränkt. Und zugleich Lieder interpretiert, die nur durch ihn glaubwürdig klangen. Sinatra, selbst ein begnadeter Hysteriker, ließ auch Männer sentimental werden. Man wird sich an ihn erinnern. So oder so. Was hätte ein Junge aus Hoboken mehr erreichen können?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen