■ Ökolumne: Nukleare Intrigen Von Dorothea Hahn
Leukämiefälle, radioaktiv belastete Muscheln, strahlende Abflußrohre und jetzt auch noch Atomzüge, die mit bis zu 13.400 Becquerel Außenstrahlung durch die Lande rollen – die französische Atomindustrie macht seit Monaten Negativschlagzeilen. Vor allem ihr Kernstück – die weltgrößte und international genutzte Wiederaufbereitungsanlage am normannischen Kap La Hague steht in der Kritik. Doch hinter den Enthüllungen stehen nicht nur Erfolge der Umweltschutzorganisationen, sondern auch handfeste Interessen von konkurrierenden Konzernen.
Nachdem jahrzehntelang fast überhaupt keine Informationen aus dem Innenleben des mächtigsten Atomkomplexes der Welt durchsickerten, ist diese „Transparenz“ eine neue Qualität. Die angestrengten Erklärungsversuche und Entschuldigungen der Hauptakteure der Atomindustrie sind ein deutliches Zeichen der Verunsicherung in einem Sektor, der nicht an öffentliche Debatten gewohnt ist.
Der Weg zu diesen Ansätzen einer kritischen Diskussion in einem Land, dessen Energie zu 75 Prozent aus AKWs stammt, war lang. Ein Meilenstein war die Katastrophe von Tschernobyl. Ein anderer Faktor ist die hartnäckige Arbeit von Greenpeace, die vor allem seit dem französischen Geheimdienstattentat auf ihr Kampagnenschiff „Rainbow Warrior“ an Glaubwürdigkeit gewonnen hat. Ein drittes Element ist das Heranwachsen einer wenngleich noch winzigkleinen Gruppe von unabhängigen WissenschaftlerInnen, die eben nicht das Korpsdenken haben, das die AtomforscherInnen prägt. Schließlich ist auch die Wahl einer rot-rosa-grünen Regierung, in der erstmals erklärte AtomgegnerInnen vertreten sind und in deren Programm ausdrücklich die „Diversifizierung der Energieherstellung“ steht, ein Zeichen für den Stimmungswandel im Atomstaat Frankreich.
Als zusätzliches externes Argument mischt seit 1996 eine europäische Richtlinie, die die Abschaffung der staatlichen Monopole im Energiesektor bis zum 1. Februar 1999 verlangt, die französische Debatte auf. Die damalige konservative Regierung wollte die Richtlinie, Sozialisten und Kommunisten waren dagegen. Die neue Regierung muß im Prinzip noch in diesem Jahr ein Gesetz verfassen, das die europäische Richtlinie in nationales Recht umwandelt. Damit würden sie nicht nur gegen ihre eigene frühere Position handeln, sondern auch gegen einen öffentlichen Dienst in der Energieversorgung, der in Frankreich weiterhin sehr populär ist. Und hier kommen nun große Konzerne ins Spiel. Denn die privaten Konkurrenzunternehmen für den staatlichen Stromkonzern EDF sitzen bereits in den Startlöchern. Sie wollen nicht in die teure Atomenergie, sondern in das profitable und schnell amortisierbare Nordseegas investieren.
Es wäre nicht das erste Mal in Frankreich, daß einer umstrittenen Privatisierung Enthüllungsberichte über Verunreinigungen und andere Skandale vorausgingen. Das war bei der Privatisierung der Wasserversorgungsunternehmen vor zwölf Jahren nicht anders. Heute ist die Wasserqualität in Paris radikal gesunken, und die Preise sind um 300 Prozent gestiegen. Ein Monopol gibt es immer noch, bloß ist es nicht mehr staatlich, sondern in den Händen der beiden Großunternehmen Lyonnaise des Eaux und CGE, die von der kommunalen Versorgung über die Informatik bis hin zu den Medien einen großen Teil der französischen Wirtschaft kontrollieren.
Die Energieversorgung fehlt der Lyonnaise des Eaux und der CGE noch. Darauf spekulieren die beiden für das kommende Jahr. Die Gretchenfrage: Sind die jetzigen Atomenthüllungen Zufall?
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