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Aufschreiben gegen den Tod

■ Die Züricher Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen spricht über Virginia Woolf und die Mortifizierung von Frauen

Schneewittchens (scheinbar) toter Körper wurde von ihr als die Ikone der Verdrängung der Frau aus der patriarchalen Gesellschaft gedeutet, Marilyn Monroe ist für sie eine durch ihre autoerotische Kraft für das System „Mann“ bedrohliche Figur, und den Popstar Madonna hält sie für „schrecklich bieder“. Die Züricher Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, 40, spannt in ihrem neuesten Buch Das verknotete Subjekt – Unbehagen in der Hysterie, einer Analyse der vom männlichen Blick dominierten Gesellschaft, weite Bögen.

Virginia Woolf ist eine Autorin mehr, an der Bronfen bereits in ihrer 1994 veröffentlichten Arbeit Nur über ihre Leiche zeigen konnte, auf welche Weise ein kulturelles Herrschaftssystem die Frau ins Symbolische zu verdrängen versucht. Und wie diese sich dennoch nicht totreden läßt. Und zwar, indem das Schweigen eben nicht zu ihrer Heimat wird.

Derart unbehaust in einer Literatur, die sich Frauen höchstens als Musen einverleiben kann, wird der Körper der Autorin zum Ort des Kampfes um Leben und Tod – einzig aufgehalten durch das Schreiben, ein Anschreiben gegen das Verschweigen. Solche Scheherazaden hat Elisabeth Bronfen immer wieder analysiert. Auch um eine politische Veränderung der Situation der Frau zu erreichen. „Ich bin keine Anarchistin“, sagt sie, „und kann mir eine Veränderung eher durch Kritik als durch Zerstörung vorstellen.“

Kritik, das war auch ein Wirkungsbereich von Virginia Woolf. Ob mit Ein Zimmer für sich allein oder mit Orlando – immer wieder ließ Woolf ihr Unbehagen an einer Kultur kritisch laut werden, die für sie als Frau keinen Ort bereithält. Nur als schöne Tote und damit eben als Kunstwerk, so Bronfen, könne sie sich ihren Ort, der dann ein Nicht-Ort ist, zuweisen lassen.

Woolfs Wendung gegen solche Mortifizierung bestand in der Offenlegung der Wunde, die für sie das Leben war. Eine klaffende Wunde, versinnbildlicht in einem ständig durch Reden offenen Mund. Wenn sie ihn schließt, wenn ein Buch beendet ist, treibt es sie zum Selbstmord. Schreibend stemmte sich Woolf dem Tod entgegen. Forschend kritisiert Bronfen die patriarchale Kultur.

Im Literaturhaus werden heute abend beide, die tote Autorin, deren Texte von Hille Darjes gelesen werden, und die lebende Wissenschaftlerin zu Wort kommen. Ein Abend höchst spannender Reden ist zu erwarten.

Emil Sennewald

heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

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