Kinder- und Jugendgewalt wächst

■ Der aktuelle Bericht zur Inneren Sicherheit und Jugendkriminalität liegt vor: Kinder- und Jugendstraftaten in Bremen angestiegen / 50-Punkte-Katalog erarbeitet

ie Ellenbogengesellschaft ist weiter auf dem Vormarsch. Was die Popgruppe „Die Prinzen“ ironisch besingt - „Du mußt gemein sein in dieser Welt, du mußt ein Schwein sein“ - setzen Kinder und Jugendliche offenbar zunehmend um. Wer dabei Opfer und wer TäterIn ist, und wie sich die Taten verändern, das wollten Bremens PolitikerInnen genauer wissen. Die Antwort auf viele Fragen gibt jetzt der 60seitige „Bericht zur Inneren Sicherheit und Jugendkriminalität im Lande Bremen“, der ressortübergreifend unter Federführung der Innenbehörde erstellt wurde. Vergangene Woche war er auch in der Bürgerschaft Thema (vgl. Kasten). Gewaltdelikte sind danach im Land Bremen insgesamt seltener geworden. Im Vergleich mit Hamburg, Berlin und Hannover bildet die Hansestadt in punkto Kriminalität sogar das Schlußlicht. Unter Kindern und Jugendlichen allerdings haben Raub, räuberische Erpressung und Körperverletzung deutlich zugenommen – wobei vor allem Gleichaltrige Opfer wurden.

Dem Bericht zufolge wuchs die Zahl der jugendlichen „Tatverdächtigen“* um rund 67 Prozent; damit wurden 1996 213 mehr Kids der Altersgruppe zwischen 14 und 18 Jahren auffällig, als noch vier Jahre zuvor – das entspricht dem deutschen Trend. Gravierender sieht die Situation bei strafunmündigen Kindern aus. Zwar erschüttert die '96er Zahl von 95 raubverdächtigen Minis zwischen acht und 14 Jahren nicht die Grundfeste des Landes. Sozialexperten versichern: „Jugenddelinquenz ist in der Regel eine vorübergehende Erscheinung.“ Dennoch werden die Kurzen mit einer 400prozentigen Steigerungsrate bei den Raubverdächtigen die Problemgruppe Nummer eins. Noch 1992 verzeichnete die Statistik nur 19 derartige Kindertäter. Dagegen sei konsequentes Handeln durch die Polizei, flankiert von Justiz und Sozialarbeit, geboten, heißt es im Bericht; „Raub und räuberische Erpressung sind ein jugendtypisches Delikt geworden.“

Ein jungentypisches Delikt, hätte es wohl treffender heißen sollen. „Aufgrund der geringen Fallzahlen mit weiblichen Tatverdächtigen insbesondere in der Raubkriminalität“ gibt der Bericht nämlich keine Auskunft über geschlechtsspezifisches Tatverhalten – wohl aber über ausländer-jungenspezifisches. Daß die Nicht-Deutschen überhaupt gesondert auftauchen, kritisieren antirassistische Gruppen wie „Aktion Courage – SOS Rassismus“, für die die SPD-Bundestagsabgeordnete Brigitte Erler kürzlich den Bremer Solidaritätspreis bekam, als „vorurteilsfestigend“. Der Bremer Bericht liefert jedoch Entlastendes: Im Verhältnis zu den zunehmend rauher werdenden Sitten deutscher Kids sind Ausländerkinder dem Bericht zufolge vergleichsweise zahm. „Die Zahl der tatverdächtigen nicht-deutschen Kinder und Jugendlichen wuchs mit drei Prozent unterdurchschnittlich.“ Eine Ausnahme bilden dabei Raub und Erpressung, wo sie leicht zulegten – und damit mittlerweile 45 Prozent der Verdächtigen stellen. Weil aber gerade in diesem Bereich Gruppendelikte häufiger werden, wäre auch der Anstieg der Tatverdächtigenzahlen erklärbar, heißt es.

Hier wird eine Schwäche des Berichts deutlich, dessen Grundlage die 1992er Tatverdächtigenzahlen sind. Wo damals lascher, später aber schärfer ermittelt wurde, schnellen die Verdächtigenzahlen mitunter drastisch in die Höhe. Beim Schwarzfahren wurden vier Jahre später beispielsweise gleich 110 Prozent mehr Kinder erwischt – nachdem die BSAG mehr Kontrolleure einsetzte, wie der Bericht offenlegt. Ähnliches gilt für Sachbeschädigung. Eine spezielle Ermittlergruppe erhöhte hier die Zahl der Verdächtigen in Bremerhaven um ein glattes Viertel.

Trotz aller Einschränkungen im Detail gilt: Jugendliche und Kinder schlagen heute häufiger und roher zu. Eine besondere Rolle spielen dabei rund 63 sogenannte „Intensivtäter“ unter 18 Jahren, denen eine unbekannt hohe Zahl an Delikten zugerechnet wird. Kriminologen gehen davon aus, daß acht Prozent der Täter für 40 Prozent aller Taten verantwortlich sind.

Ob die Opfer von Jugendkriminalität aus bestimmten Zusammenhängen stammen – sind es vielleicht mehr Mädchen? – ist eine von mehreren Fragen, die der Bericht nicht beantwortet. Gleiches gilt für die potentielle Opfergruppe der Nicht-Deutschen. Sie werden nur als Täter identifiziert. Zur Begründung heißt es in der Innenbehörde, rechtsextremistische oder ausländerfeindliche Delikte würden statistisch gesondert geführt. Hier wird der Bericht seinem Ziel, neue Erscheinungsformen von Jugendkriminalität in bezug auf Opfer- und Tätergruppen genau zu erfassen, kaum gerecht.

Es überrascht deshalb nicht, daß die Maßnahmen, mit denen die Behörden – von Soziales über Inneres, Justiz und Stadtentwicklung – auf das veränderte Verhalten der Acht bis 18jährigen antworten wollen, entsprechend breit gestreut sind. Ein fast 50 Punkte umfassender Katalog, der allein im kommenden Haushaltsjahr rund 600.000 Mark zusätzlich kosten soll, sieht u.a. mehr Sozialarbeit mit Jugendcliquen, mit belasteten Familien und mit Kriminalitätsopfern vor. Schwerpunkt der Aktivitäten: Hilfe statt verschärfter Strafe. „Die zur Anwendung geltenden Rechts erforderlichen Instrumentarien stehen zur Verfügung“, so das Justizressort. Ein Senken der Strafmündigkeitsgrenze von 14 auf zwölf Jahre sei ausgeschlossen. Dafür hat sich die Innenbehörde – neben der Reform des Polizeiwesens und der verstärkten Präventionsarbeit – erneut vorgenommen, das Ortsgesetz zu verschärfen und das von der SPD bislang abgelehnte Verbot für öffentliche Trinkerei – etwa in den Wallanlagen – nun strikt durchzusetzen. ede

*Die Kriminalstatistik hält lediglich die Zahl der Verdächtigen, nicht der bewiesenen Täter fest.