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AnalyseKonfusion als Gesetz

■ Beim Asylbewerberleistungsgesetz blicken selbst die Parteien nicht durch

Der Vorgang hat auch etwas Tröstliches. Wer als Normalbürger längst verzweifelt ist beim Versuch, im Bonner Gesetzgebungsdschungel durchzusteigen, kann derzeit erleben, daß es den Abgeordneten im Gesundheitsausschuß kaum besser geht: Sie bemühen sich seit Wochen, einen Gesetzentwurf zu verstehen.

Eingebrockt hat ihnen die Mühsal der Bundesrat. Dort wurde im Februar eine Änderung des sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) beschlossen, das die soziale Absicherung in Deutschland lebender Flüchtlinge regelt. Doch schon in der Länderkammer herrschte Verwirrung über die Frage, worin die gerade beschlossene Änderung eigentlich bestand. So umständlich wie der Name „AsylbLG“ klingt, so verschachtelt war auch die Neuformulierung des Gesetzestextes gestaltet. Inzwischen liegt der Entwurf im Bundestag und auch dort streiten sich die Abgeordneten, worüber sie eigentlich streiten.

Klarheit gibt es nur in zwei Punkten: Erstens geht es um Flüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkehren, obwohl der Rückkehr keine Hindernisse entgegenstehen, und zweitens darum, den Betroffenen Sozialleistungen zu streichen. Die Konfusion resultiert entsprechend aus zwei Fragen: Welche Flüchtlinge sind von der genannten Definition betroffen, und welchen Umfang haben die Leistungskürzungen?

Flüchtlingsinitiativen und Wohlfahrtsverbände legten sich als erste auf eine Interpretation fest – und schlugen Alarm: Die Novelle betreffe unter anderem die gut 200.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien. Die Kürzungen bedeuteten, daß den Betroffenen bis auf eine Rückfahrkarte in die Heimat alle Sozialleistungen in Deutschland gestrichen werden.

Ein Mißverständnis, argumentiert Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), Ziel des Entwurfs sei nicht die Streichung, sondern nur die Einschränkung von Leistungen. Doch gesichert ist Seehofers Interpretation keineswegs. So neigt etwa die FDP der Lesart der Flüchtlingsinitiativen zu, und auch CDU-Fraktionsvize Heiner Geißler äußerte sich eher skeptisch. Ebenso unklar ist der Kreis der Betroffenen: Während Seehofers Ministerium einräumt, daß die 200.000 Bosnier von der Neuregelung betroffen sind, kommt der CDU-Sozialexperte Ulf Fink zum gegenteiligen Schluß.

Bis 27. Mai muß sich der Gesundheitsausschuß auf eventuelle Änderungen einigen. Was also tun Politiker, wenn sie nicht recht wissen, was sie tun sollen? Voraussichtlich beschränken sie sich auf kosmetische Änderungen – zum Entsetzen der Flüchtlingsinitiativen. Würden sich die Abgeordneten statt dessen eingestehen, daß der Entwurf konzeptionell zumindest verworren ist, hätten sie die Erfahrung ihrer eigenen Konfusion produktiv genutzt. Patrik Schwarz

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