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Knopp ist spät dran

■ ... drum muß der ZDF-Prof ganz schnell durch unser deutsches Jahrhundert (ab heute, 20.15 Uhr)

Jules Verne, geboren 1828, reiste im letzten Fin de siècle „In 80 Tagen um die Welt“. Damals war das visionär. Guido Knopp, geboren 1948, benötigt gerade 20 Tage, um durch ein ganzes Jahrhundert zu düsen. Das ist nur ZDFisionär. Ziemlich kühn, solchen Schnelldurchlauf von 900 Minuten Echtzeit, bis nächstes Frühjahr in Dreiviertelstunden-Happen ins Programm gestreut, als „Unser Jahrhundert“ zu verkaufen. Dieses begann nach ausdrücklicher Auffassung des „ZDF-Historikers“ (ZDF) obendrein erst 1914 und ist – was anscheinend sonst niemand bemerkt hat – seit 1989 auch schon vorbei.

Soll sich doch mit Kohls häßlichem Rest herumschlagen, wer will. Genauso bemerkenswert ist Knopps Mut zur politischen Lücke, mit dem er meint, „die großen Schicksalsstunden der Deutschen in diesem Jahrhundert“ dingfest zu machen. In den wortreichen Ankündigungen kommen beispielsweise Stichworte zu den Zwanzigern, zu Bücherverbrennung und Kulturkampf, zu „Reichskristallnacht“, Österreich, Tschechoslowakei (1938) genausowenig vor wie durchgängig solche zu Arbeiterbewegung, Arbeitskämpfen und Gewerkschaften – etwa die Massenproteste gegen das sich an die Reichsarbeitsordnung anlehnende Betriebsverfassungsgesetz 1952 oder die heiß umstrittene 40-Stunden-Woche („Samstags gehört Papi uns“). Es fehlen Remilitarisierung, Restauration, Römische Verträge, Ostermarsch/ Friedensbewegung. Und zwischen 1961/Mauerbau und 1977/„Herbst des Terrors“ gähnt ein großer weißer Fleck, als ob es „Große Koalition“/APO ff., „68“, Frauen- und sonstige Bewegungen, Anti- AKW-Auseinandersetzungen etc. nicht gegeben hätte.

Das nächste Stichwort, für 1989, heißt dann immerhin „Wir sind das Volk“. Auf die unverfälschte Fassung der Parole der Leipziger Montagsdemonstrationen mit der Betonung auf dem „wir“ soll sich aber nicht im laufenden Bundestagswahljahr besonnen werden, sondern an einem unverfänglichen Apriltag 1999. Auch der 9. November, der in diesem Jahrhundert nun wirklich so oft „Schicksalstag“ in Deutschland war wie kein anderes Datum, kommt erst nächstes Jahr aufs Tapet – aber nur als Knopps Jahrhundert-Schlußtusch 1989: Denn da geschah mit dem Fall der Mauer „Das Wunder von Berlin“. Irgendwie folgerichtig, im Jahr 9 Guido-Zeitrechnung, die Jahrhundert-Mauerschau jetzt auch mit „Wundern“ anfangen lassen. Gleich im Dreierpack als Horsd'÷uvres für Sommerferien (D-Mark-Wunder, Wirtschaftswunder) und Fußball-WM (das von Bern 1954) kommt das gut, rein quotentechnisch.

Was aber nun genau drin ist in den „Wunder“-Tüten – und was nicht –, ist bis dato nicht raus. Knopp ist spät dran. Daß die Zeitzeugen wegsterben – selbst die 20jährigen vom Kriegsende sind heute Mitte 70 – scheint ihm erst seit kurzem klargeworden zu sein.

So rollte seine „Jahr100-Bus“ getaufte Schleppnetzfahndung nach ihnen auch erst seit März durchs Land. Und während der Nennprofessor die Honneurs dazu macht, muß sein Autoren-Pool eben schrubben bis zum ultimativen „Maz ab!“. Ulla Küspert

Nach dem Film über das Wirtschaftswunder (heute), folgt am 26.5. der über das „D-Mark-Wunder“, dann am 2. Juni über die Fußball-WM 1954 (jeweils um 20.15 Uhr, ZDF); dann geht's erst im November weiter.

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