■ Am Freitag stimmt in Irland das Volk über das Friedensabkommen ab. Robert Ballagh begründet, warum er dagegen votieren wird
: „Keine Frage von Krieg oder Frieden“

taz: Am 22. Mai entscheidet ein Plebiszit über die Annahme des Friedensabkommens. Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, unterstützt das Abkommen. Sie auch?

Robert Ballagh: Die Annahme des Abkommens bedeutet genausowenig Frieden wie seine Ablehnung Krieg bedeutet. Im Text des Abkommens ist von den „Tragödien der Vergangenheit“ die Rede, aber der historische Hintergrund bleibt ausgeklammert. Außerdem stört mich die große Eile und die komplizierte Sprache des Papiers. Und mißtrauisch macht mich der absolute Konsens über das Abkommen in Politik und Medien. Das letzte Mal, wo ich so etwas erlebt habe, war bei einem Besuch in Bagdad.

Was ist an dem Abkommen denn so grundlegend falsch?

Nichts ist grundlegend falsch, es hat durchaus auch gute Seiten. Aber die Regierung suggeriert, wer gegen das Abkommen ist, sei auch gegen den Frieden. Das ist Champignon-Taktik: „Haltet sie im Dunkeln und füttert sie mit Mist.“ Die Ausgewogenheit, von der der irische Premierminister Bertie Ahern spricht, gibt es nicht. Die Wähler in der Republik Irland sollen ihre Verfassung abändern und den Anspruch auf Nordirland aufgeben, während der britische Territorialanspruch bestehenbleibt. Das hätte erhebliche Konsequenzen: Zum ersten Mal würde das irische Volk die Teilung des Landes akzeptieren.

Aber die hat es in der Vergangenheit doch auch akzeptiert, die entsprechenden Verfasungsparagraphen waren eher symbolisch.

Bisher haben wir das faktisch akzeptiert, aber nicht juristisch. Über Nacht wären die nordirischen Nationalisten Teil der Diaspora. Sie hätten die gleiche Stellung wie irische Emigranten in Liverpool oder Camden Town. Die irische Präsidentin Mary McAleese stellt, wie ihre Vorgängerin Mary Robinson, abends ein Licht ins Fenster für die Landsleute in der Diaspora. McAleese stammt aus Belfast, gehört sie demnächst auch zur Diaspora? Eine Verfassungsänderung wäre ein Entgegenkommen gegenüber den Unionisten und der britischen Regierung. Wenn das Abkommen funktionieren soll, muß es eine faire Gegenleistung geben.

Und die gibt es nicht?

Die wichtigsten Punkte für den Frieden sind auf die lange Bank geschoben worden. Die Reform der Polizei, die zu 93 Prozent protestantisch ist, kommt zum Beispiel frühestens in zwei Jahren. Das sind zwei Sommer mit protestantischen Paraden, bei denen es in den letzten Jahren vor allem in Drumcree gekracht hat. Ich hoffe, daß sich das nicht wiederholt. Denn wenn die Regierungen versuchen sollten, die Flammen von Drumcree mit dem Abkommen zu löschen, würden sie sehr schnell feststellen müssen, daß das Abkommen brennbar ist.

Die Unionisten sind über das Abkommen tief zerstritten. Unionistenchef David Trimble glaubt, es stärkt die Union mit Großbritannien, die Mehrheit seiner Westminster-Abgeordneten sieht es als ersten Schritt zu einem vereinigten Irland. Ist das eine Gelegenheit für Nationalisten, aus dem Zerwürfnis Kapital zu schlagen?

Man muß der Versuchung widerstehen, das Abkommen positiv zu bewerten, weil beim Gegner die Fetzen fliegen. Manche Nationalisten meinen nun, man müsse jetzt auf Teufel komm raus Kinder machen, damit man bald in der Mehrheit ist. Ich finde das geschmacklos. Ich bin prinzipiell gegen eine Mehrheitsdiktatur in einer gespaltenen Gesellschaft. Daran muß man sich erinnern, wenn es irgendwann eine katholische Mehrheit in Nordirland geben sollte. Die Antworten muß man woanders suchen.

Aber wo?

Das Ende der Union Nordirlands mit Großbritannien ist doch schon eingeläutet. Schottland und Wales bekommen eigene Parlamente, das Vereinigte Königreich fällt auseinander. Das ist in der Tat sehr beunruhigend für die Unionisten. Das Vereinigte Königreich ist ja erst im viktorianischen Zeitalter, Ende des 19. Jahrhunderts, aus wirtschaftlichen Gründen konstruiert worden. Jetzt gibt es in Großbritannien eine multikulturelle Gesellschaft. Für einen Jamaikaner, der in Manchester geboren ist, spielt die Union überhaupt keine Rolle, und in 50 Jahren wird sie nicht mehr existieren – und zwar ohne Zutun von irgend jemandem. Indirekt wird das im Abkommen ja auch anerkannt: Die Nordiren können selbst entscheiden, ob sie britisch bleiben wollen oder nicht. Das können die Menschen in, sagen wir, Bristol nicht.

Warum gibt die IRA dann ihre Waffen nicht ab? Sie hat das kürzlich klipp und klar abgelehnt. Was heißt das für das Abkommen?

Ich verstehe die Aufregung über die IRA-Erklärung nicht. Hat denn jemand geglaubt, daß sie die Waffen abgeben würde? Die IRA existiert aufgrund der Bedingungen in Nordirland, und solange der Status quo sich nicht ändert, wird sie weiter existieren. Die im Abkommen versprochenen Veränderungen werden aber Jahre brauchen, bis sie Realität werden. Bisher ist es nur ein Stück Papier. Man sollte zufrieden sein, daß die Gewehre und Bomben eingemottet sind. Keine unbesiegte Armee hat jemals die weiße Fahne geschwenkt.

Was ist mit den Splittergruppen auf beiden Seiten, also der Continuity IRA und der Loyalist Volunteer Force, die keinen Waffenstillstand akzeptieren? Können sie das Abkommen zu Fall bringen?

Die beiden Organisationen repräsentieren nur eine winzige Minderheit. Was das Referendum angeht, sind sie unwichtig. Aber sie liefern jenen Argumente, die die positiven Elemente des Abkommens – Justizreform, Aufhebung der Sondergesetze, Menschenrechte, Amnestie für die politischen Gefangenen – schon im Ansatz abwürgen wollen.

Sie sehen also neben den negativen Elementen des Abkommens auch positive. Welche überwiegen?

Ich werde mit Nein stimmen, aber ich werde nicht andere Leute dazu überreden. Das ist deren Sache. Mir geht es darum, eine Debatte anzuregen, denn die Menschen sind ziemlich uninformiert.

Der irische Außenminister David Andrews behauptet, das Abkommen sei die letzte Chance für Frieden in dieser Generation. Ich glaube das nicht. Man muß sich doch nur die Friedensverhandlungen in anderen Ländern ansehen, etwa in Südafrika. Die sind auch immer wieder zusammengebrochen, und man hat weiterverhandelt. Wenn man es allerdings so hochspielt, wie Andrews und andere Clowns es zur Zeit tun, dann mag es wirklich die letzte Chance sein. Interview: Ralf Sotscheck