Phantasie und nichts für Straßenkinder

■ Der kanadische Cirque du Soleil gastiert freudig mit Alegría auf dem Heiligengeistfeld

Die arme Phantasie wird heutzutage tüchtig überstrapaziert. Eine artistische Leistung alleine reicht nicht mehr aus, sie zu entfachen. Wer aus dem Stand einen Überschlag rückwärts machen kann, muß sich nicht nur in bunte Glitzerkostüme werfen, sondern seine Kunst mit einer Botschaft füllen. Das Schöne an sich als das Gute zu verkaufen, genügt nicht im Zeitalter der Sinnstiftungen.

Darum führt uns der kanadische Cirque du Soleil, zwei Jahre nach Saltimbanco, mit seinem neuen Programm Alegría an den Hof des Königs, um mit seinem Staat ein Fest zu feiern. Im Mittelpunkt: der Hofnarr, in dessen zunächst oberflächlich scheinenden Erzählungen eine tiefe Weisheit steckt. „Die Charaktere beschwören eine Zeit herauf, in der die Phantasie wirklicher, die Magie Teil des täglichen Lebens war“, erläutert Regisseur Franco Dragone das Konzept, „eine Zeit, da die Welt die Familie und das Dorf waren, während draußen das Unbekannte lauerte.“ Ja Pustekuchen!

Diese Weitertradierung farbloser Mythen führt direkt in die Hölle Erlebnisgastronomie. Nicht umsonst war der Cirque du Soleil auch Mitproduzent des Freß-Events Pomp Duck and Circumstance; Alegría bietet nun begleitend zur Kunst für 100 Mark ein spanisches Buffet feil.

Die Kanadier haben zweifellos hervorragende Artisten unter Vertrag. Warum also nicht ein einfaches Varieté-Programm, in dem ohne aufgesetzte Bedeutung das vorgeführt wird, was sie beherrschen: die brillante Kunst der Unterhaltung? Statt dessen verheddert sich Dragone mit seinen Ansprüchen in Widersprüche: „Heute abend werden unsere Freudenschreie zu Wutschreien werden, weil tausende junger Herzen wieder in den Abgründen unseres guten Willens erfrieren werden“, und das Programmheft ergänzt: „Die Straßenkinder werden Alegría nicht sehen. Lachen ist immer noch ein Luxus, den sie sich nicht leisten können.“ Aussagen einer Maschinerie, die ihre „Phantasien“ in einer ständigen Show in Disney World verkauft und mit Merchandising-Artikeln Millionenumsätze macht. Dabei ist doch der Zynismus gerade der Feind der Phantasie.

Eberhard Spohd

Premiere: Freitag, 22. Mai, 20 Uhr, Heiligengeistfeld