: Vollständige Verunsicherung
Finanzstandort Hamburg vor dem Exitus. Bei Versicherungen und Banken sind 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr ■ Von Kai von Appen
Die Banken- und Versicherungsmetropole Hamburg gerät ins Wanken: Etwa 10.000 qualifizierte Arbeitsplätze werden nach Schätzungen der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) allein bis zum Jahr 2000 verloren gehen und, so befürchtet HBV-Sprecher Jörg Reinbrecht, „in Hamburg nirgendwo wieder entstehen“.
In den Banken kämpfen die Gewerkschaften gegen ein doppeltes Phänomen. Das „Outsourcing“ vieler Arbeitsplätze in freiberufliche Tätigkeiten und das „Insourcing“ ganzer Geschäftsbereiche unter das Dach der Konzernmütter. So ergeht es derzeit der Hamburger Hypothekenbank und der Nord-Hypo nach ihrer Fusion mit der Deutschen Hypothekenbank in Frankfurt, einer Tochter der Dresdner Bank. Künftig sollen wesentliche Teile des Hypothekengeschäfts zentral in der Finanzmetropole Mainhattan abgewickelt werden, was an der Elbe 300 Arbeitsplätze kosten dürfte. „In den Köpfen der Bankenvorstände hat sich ein gefährlicher Zentralisierungsvirus festgesetzt“, resümiert Nord-Hypo-Betriebsrätin Ramona Diederding. „Die Konzerne gehen zunehmend davon aus, daß eine Bank vor Ort – dort wo Handel getrieben wird – wegen der neuen EDV-Technik nicht mehr notwendig ist“, ergänzt Reinbrecht.
Auf Druck der Betriebsräte konnte bei den Hypos in den Interessenausgleich- und Sozialverhandlungen durchgesetzt werden, so gestern HBV-Bankensekretär Jochen Berking, daß zumindest Teile des Hypothekengeschäfts am Elb-Standort erhalten bleiben.
Die Konzentration im Bankengeschäft ist auch der Grund für die Westdeutsche Landesbank (West-LB), sich an der Hamburgischen Landesbank (HLB) über ihre Kieler Tochter einzukaufen (siehe Text unten). Reinbrecht: „Die West-LB kauft nicht just for fun 49 Prozent der Anteile.“ Die West-LB habe bereits eine Tochter gegründet, in der perspektivisch der Wertpapierhandel – auch aus Hamburg – gebündelt werden kann.
Ein anderes Problem im Bankenbereich ist das „Outsourcing“: Viele Service-Bereiche werden mittlerweile durch den „Kollegen Computer“ via Homebanking und Geldautomat übernommen oder in „Telebanking-GmbHs“ verlagert, in denen vornehmlich 620-Marks-Kräfte arbeiten. So gliederte selbst die Deutsche Verkehrsbank – ein Ableger der Deutschen Genossenschaft (DG) – ihre Bahnhofsfilialen in eine „Reisebank GmbH“ aus, in denen mit Teilzeitjobbern gearbeitet wird. „Dieser schleichende Arbeitsplatzabbau setzt sich fort“, so Reinbrecht.
Da das Finanzkapital ohnehin davon ausgeht, daß Hamburg eine zu große Filialdichte hat, haben sich die fünf größten deutschen Banken (Deutsche, Dresdner, Commerz-, Vereins- und Hypo-Bank) zu einer „Cash Group“ zusammengeschlossen: Mit der kostenlosen Geldautomatennutzung bei allen Partnern soll dem dichten Automatennetz der hiesigen Sparkassen Paroli geboten werden. Auch könnten so Filialen der Großen Fünf im selben Einzugsgebiet geschlossen werden. Denn qualifizierte Kundenberatung soll ohnehin nur noch Geschäftsleuten und „dem vermögenden Privatkunden“ in „Schwerpunktfilialen“ zuteil werden. Trotz steigender Gewinne verfolgt inzwischen auch die selbsternannte „Bank des kleinen Kunden“, Deutschlands größte Sparkasse Haspa, diesen Weg.
Auch bei den Versicherungen schreitet die Konzentration scheinbar unaufhaltsam voran. „Die haben einfach zu viel Kohle“, philosophiert HBV-Sprecher Reinbrecht. „Und was macht man mit dem ganzen Geld? Man kauft alles auf.“
Daher werden wohl nach der geplanten Fusion der Hamburg-Mannheimer (HM), der DKV und der Victoria-Versicherung unter dem Dach der Düsseldorfer Ergo-Gruppe weitere Arbeitsplätze in Hamburg verschwinden. Ergo ist ein Konstrukt des Rückversicherers Münchner Rück und der Aachen-Münchner Versicherung, die mit der Dresdner Bank verflochten ist. Die Münchner Rück gehört ihrerseits zu 25 Prozent der Allianz-Versicherung, die wiederum zu 25 Prozent der Münchner Rück.
„Es muß damit gerechnet werden, daß die Hamburg-Mannheimer-Zentrale in Hamburg aufgelöst wird“, befürchtet Reinbrecht. Es könnte das Gleiche passieren, was der ehemals gewerkschaftseigenen Volksfürsorge (Vofü) nach ihrem Verkauf an das Aachen-Münchner-Konsortium widerfuhr: Der scheibchenweise Abbau von 1000 der 4000 Arbeitsplätze in der Hamburger Zentrale.
Es gibt zwar zur Zeit bei der Vofü eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitsplatzsicherung, dennoch geht die Gewerkschaft davon aus, daß Hamburg-Mannheimer und Vofü in der Düsseldorfer Ergo langsam „aufgehen und nach und nach zerlegt werden“.
Aber auch im Versicherungsbereich ist der Outsourcing-Trend im Kundendienst ein großes Problem. Da die fusionierten Versicherer ihre Angebote angleichen, wird künftig die Vertragsbearbeitung in den Konzernzentralen und –filialen überflüssig. Sie können von freiberuflichen Kundendienstberatern mit standardisierten Laptop-Programmen direkt vor Ort übernommen werden. Reinbrechts Vision: „Da gibt es dann vielleicht noch in München einen Bauernrabatt oder bei der Vofü einen Gewerkschaftsbonus.“
Da die Banken und Versicherungen sich selbst gehören, ist nach Auffassung der Gewerkschaft der Rationalisierungsdruck zur Ertrags-steigerung überflüssig. Die Manager der Finanzgiganten würden sich vielmehr selbst dem Zwang unterwerfen, die Dividenden auf über 20 Prozent zu treiben. Daher müßten im Prinzip die Finanzkartelle zerschlagen werden. „Wenn nicht endlich neue Kartellrechte durchgesetzt werden und zwar europaweit“, so Reinbrecht, „bleiben nur noch drei oder vier Finanzkonzerne übrig.“
In Hamburg dürften dabei mindestens 10.000 Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben. Mindestens 4.500 bei den Banken und 5.500 bei den Versicherungen droht die Weg-rationalisierung. Wo vor zwei Jahren noch insgesamt 51.000 Menschen arbeiteten, werden am Beginn des nächsten Jahrhunderts keine 40.000 Arbeitnehmer übriggeblieben sein.
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