Zum Abschied gibt es rote Harmonie

Am Wochenende vollzieht die NRW-SPD den Wechsel: Während Johannes Rau auf höchste Weihen als Bundespräsident hofft, muß Nachfolger Wolfgang Clement sich mit den Alltagsmühen einer rot-grünen Koalition plagen  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Wolfgang Eichner, der Vorsitzende im Wuppertaler SPD-Ortsverein Uellendahl-Dönberg, redet ohne Unterlaß. Ein atemloser Wortschwall, ganz so, als fürchte der 33jährige Kommunalbeamte, daß Nachfragen seine Botschaft erschüttern könnten. Und die ist an diesem Donnerstag abend eindeutig: „Die Basis nimmt den Wechsel von Johannes Rau zu Wolfgang Clement sehr gelassen.“ Tatsächlich sei die SPD in „bester Verfassung“, erlebe geradezu eine „Eintrittswelle“. Nun, an diesem „Gesprächsabend für Neumitglieder“ ist davon nicht viel zu spüren. Gerade ein neuer Genosse sitzt mit am Tisch.

Über den Wechsel in Düsseldorf, der auf dem Landesparteitag am kommenden Wochenende mediengerecht inszeniert und in der nächsten Woche im Parlament vollzogen werden soll, verlieren die Anwesenden kaum noch ein Wort. Große politische Änderungen erwarten sie „ohnehin nicht“. Von einem „prima eingefädelten Generationswechsel“ spricht Eichner. Nur über den früheren SPD- Fraktionschef Friedhelm Farthmann sind sie hier „maßlos verärgert“. Farthmann hatte den „Landesvater“ noch unmittelbar vor dessen Rücktrittserklärung am 16. März per Fernsehinterview zum Abgang aufgefordert.

Am Morgen hatte Johannes Rau selbst diesen Punkt während seiner Abschiedsrede auf der Bezirkskonferenz der nordrhein- westfälischen IG Metall in Dortmund gestreift. Dabei bediente sich der 68jährige des Trostes eines vorgeblich anonymen Briefschreibers – „trösten Sie sich, ich habe schon größere Zwerge gesehen“ –, um seinen Zorn über die Kritiker gewohnt sybillinisch unters Volk zu bringen. Mit verpackter Kritik hat der Parteipatriarch während seiner 20 Jahre als Ministerpräsident fast einen eigenen Stil der Abstrafung entwickelt. Oft war das Weggelassene in einer Rau-Rede wichtiger als das Gesagte.

Noch Anfang des Jahres bekam Gerhard Schröder diese Methode zu spüren. In einer launigen Rede an seine Geburtstagsgäste über das wichtige Wahljahr 1998 sprach Rau selbst die unbedeutendste Kommunalwahl an, nur der Urnengang in Niedersachsen war ihm keine Erwähnung wert. Eine Art Höchststrafe für den ungeliebten Kanzlerkandidatenaspiranten Schröder, den zu verhindern allerdings nicht mehr in Raus Macht lag. Inzwischen bezeichnet er sein Verhältnis zum Mann aus Niedersachsen zwar als „gut, offen und vertrauensvoll“, doch mehr als Fassade ist das nicht.

Letztlich hat der Durchmarsch von Schröder auch den Wechsel in NRW beschleunigt. „Ich habe lange geglaubt“, so räumte Rau kürzlich erstmals öffentlich im ZDF ein, „es wäre besser gewesen, ich bliebe bis zur Bundestagswahl. Andere haben das anders gesehen. Ich bin inzwischen der Meinung, hier haben die anderen recht.“ Von dem bitteren Machtkampf hinter den Kulissen verrät dieser Satz indes nichts. Tatsächlich willigte Rau erst ein, als klar wurde, daß Clement nicht bis zur Bundestagswahl warten würde – und Rau mit der Unterstützung von Lafontaine und Schröder für seine Ambitionen auf das Amt des Bundespräsidenten rechnen konnte.

Nichts interessiert Rau heute brennender, als die Nachfolge von Roman Herzog anzutreten. Was 1994 danebenging, soll 1999 endlich gelingen. Bei einem rot-grünen Wahlsieg in Bonn könnte es diesmal tatsächlich klappen, auch wenn manche Genossen und führende Grüne lieber eineN OstdeutscheN als Herzogs NachfolgerIn sähen. Daß Rau inzwischen öffentlich erklärt, er könne sich „vorstellen“ zu kandidieren, dient auch dazu, den eigenen Anspruch vor der Bundestagswahl zu unterstreichen.

Daß das ganze Gerangel um die Rau-Nachfolge dem Ansehen des Noch-Ministerpräsidenten in NRW kaum geschadet hat, zeigen nicht nur Meinungsumfragen. Selbst jene Metaller, die 1988 noch wegen Raus Rolle bei der Stillegung von Rheinhausen vor dessen Amtssitz in Düsseldorf demonstriert hatten, verabschiedeten den Ministerpräsidenten in Dortmund in der vergangenen Woche mit stehenden Ovationen. Er habe mit seinem Regierungsstil, so das Lob des Chefs der nordrhein-westfälischen IG Metall, dem Land „zum Erfolg verholfen und es lebens- und liebenswert gemacht“.

Auch wenn in solchen Abschiedsreden immer viel Verklärung mitschwingt, so wird in diesen Tagen doch deutlich, daß da jemand abtritt, der nach wie vor von tiefen Sympathien im Volk getragen wird. Gefühle, die sein designierter Nachfolger Clement bisher nicht zu wecken wußte. Hier der „Versöhner“ und „Landesvater“, dort der konfliktbereite, „knochenharte Macher“, dieses öffentliche Bild prägt den Übergang – auch wenn die jeweiligen Metaphern der Ambivalenz der Personen nicht gerecht werden.

Tatsächlich ist Clement davon überzeugt, daß „harte Entscheidungen“ und „rasche Veränderungen“ nötig sind, um in der globalen Konkurrenzgesellschaft „die wichtigste sozialdemokratische Aufgabe, Menschen in Arbeit und Brot zu bringen“, zu meistern. Mit ihm als Kabinettschef ändert sich in NRW deshalb mehr als nur der Regierungsstil.

Gestern warb Clement in der grünen Landtagsfraktion um Vertrauen. Sicher ist, daß der Wortführer der linken Koalitionsgegner, Daniel Kreutz, nicht für Clement stimmen wird. Wie viele der 24 grünen Abgeordneten sich ihm anschließen, bleibt auch nach dem Clement-Auftritt offen. Aus Teilnehmerkreisen war hinterher von „einem ehrlichen, konzentrierten Gespräch“ die Rede, bei dem man sich nichts geschenkt habe. Dabei habe Clement insgesamt, so ein führender Grüner, „vertrauensbildend gewirkt“ und versichert, zusammen mit der grünen Führungscrew nach Wegen zu suchen, künftig „andere Formen“ der Konfliktbewältigung zu finden.

Clement, der rechnerisch nur auf drei grüne Stimmen angewiesen ist, hatte schon im Vorfeld erklärt, er erwarte mindestens die Hälfte der 24 Stimmen. Dem SPD- Fraktionschef Klaus Matthiesen reicht das indes nicht. Für den Fall, daß es Enthaltungen in zweistelliger Höhe gebe, sei der „Ernstfall“ da.