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Kaffeefilter und Katheder

■ Gegen die Verschniekung von Mitte: Im Postfuhramt an der Oranienburger Straße findet zum zweiten Mal das von der Aktionsgalerie betriebene Kunstfestival „...und ab die Post!“ statt

Der Raum ist so schwarz, daß man die Hände vor Augen nicht sieht. Es braucht eine Weile, bis man sich an ihn gewöhnt, Stühle und Blickrichtung gefunden hat. Es dauert noch länger, bis man erkennt, was erkannt werden will. Der Kolumbianer Nelson Vergara hat auf eine schwarze Wand verschwommene bewegliche Bilder einer Frau projiziert, die immer wieder entgleiten. Nur bei angestrengtem Hinsehen erkennt man schemenhafte Umrisse, eine Silhouette, wie von Infrarot bestrahlt. Im Sekundentakt verschwindet sie immer wieder, um dann zaghaft aufzutauchen, ein paar Schritte zu tun oder sich hinzusetzen. Diese Videoinstallation heißt „Leonardos Traum“ und gehört zu den schönsten Arbeiten, die derzeit im Postfuhramt zu sehen sind.

Wie schon im letzten Jahr hat die Aktionsgalerie in dem noch immer leerstehenden Gebäude ein Festival für internationale, junge und experimentelle Kunst aus Berlin eingerichtet. Hier wird gezeigt, was in den schnieken Galerien um die Ecke keine Chancen hätte: meist Installationen, die unter normalen Umständen unbezahlbar wären, von Künstlern, die in der Regel keine Ausbildung haben. So wie die Aktionsgalerie von ihrem Kneipenbetrieb lebt, ist „...und ab die Post!“ auch in der zweiten Runde wieder ein Low-Budget- Projekt, das sich hauptsächlich über Eintrittsgelder und mit wenigen Zuschüssen vom Förderband Kulturbüro finanziert.

Das Postfuhramt ist wie gemacht für ein solches Projekt: In einem Umfeld, wo Kneipen mit Wandmustern in Schwämmchentechnik glänzen, hebt es sich angenehm ab. Seine Innenräume sind vergammelt, der Putz bröckelt, Tapetenreste sind vergilbt. Es riecht noch etwas nach DDR. In einem Raum mit gekalkten Fensterscheiben und Blümchentapete befindet sich der „Bilderlesesaal“ von Volker Sieben und Burkhard Ehaus. An Drähten hängen schwarze Katheder von der Decke. An diesen sind Leselampen mit Schirmen aus Kaffeefiltern befestigt. Auf den Kathedern liegen gefaltete Blätter, wüste Skizzen von verunglückten Raben und andere angenehm traurige Krakeleien. Der Raum lädt wie die Staatsbibliothek Unter den Linden dazu ein, länger zu bleiben, sich ins Material zu versenken und für die Umgebung taub zu werden. Nebenan hat Sophie Lovell eine Wand rosa bemalt, in einem Stil, der nicht ins Postfuhramt paßt. Eine rechteckige Fläche in dieser Wand bleibt ausgespart. Das dazugehörige rechteckige Paßstück steckt wie ein Messer in der gegenüberliegenden Tür, als hätte es jemand herausgerissen und mit Schwung hinter sich geworfen.

Im verschnörkelten Kuppelsaal des Gebäudes hat Bastiaan Maris seine sensationslüsternen Relais, Zeitschaltuhren und Indikatoren installiert. Durch Münzeinwurf kann ein höllisches Spektakel ausgelöst werden. Alle miteinander verbundenen Elemente schalten sich teils zufällig, teils kontrolliert ein und wieder aus, zwischendurch brennt eine Glühbirne, es rasselt und scheppert ohrenbetäubend. Effekthascherei? Der Lärm vervielfacht sich durch die Kuppel und dringt in alle anliegenden Räume. In einem davon befindet sich Dietmar Starkes „confinamento, eine Videoprojektion von einem kleinen, flatternden Vogel. Nicht durch den Lärm, sondern durch Betreten seiner kleinen Welt ist ein Sensor zu aktivieren und der Vogel leicht aufzuschrecken. Er fliegt in eine andere Abteilung des viergeteilten, dunklen Zimmers. Vorausgesetzt, er wird dort nicht gestört, läßt er sich nieder und schläft langsam ein.

Weil er aber von gräßlich mutierten Küken und von Bombenabwürfen im Krieg träumt, ist man bestrebt, ihn bald wieder zu wecken. So flieht der Vogel von einem Traum in den nächsten, wird stets aufgeschreckt, weil nicht für gut befunden wird, was er da träumt. Ob sich die Dinge irgendwann an uns rächen werden? Wütende aufziehbare Pandabären, die wir gezwungen haben, immer im Kreis zu rennen? Hitchcocks Vögel, die ihren Neidern und Traumstörern die Augen aushacken?

Wer die Dinge lieber in Frieden lassen will, kann sich im Postfuhramt auch Menschen ansehen. Abends tanzen dort täglich Performancekünstler, Bands spielen, und DJs legen Platten auf. Heute abend wird Bob Rutman mit seinem „Steel Cello Ensemble“ auf seinen wunderlichen Stahlinstrumenten spielen, auf Metallstäben, die in riesige metallene Hohlkörper eingelassen sind. In Begleitung von Einstürzende-Neubauten- Mitglied Alexander Hacke wird er seine Cellos mit selbst gebauten Streichbögen bearbeiten, bis sie singen und klingen wie der Gesang der Wale. Auf Styroporblöcken macht er außerdem Meditationsmusik für Hartgesottene, die es schon in der Schule locker weggesteckt haben, wenn die Kreide auf der Tafel quietschte. Susanne Messmer

„...und ab die Post 1998!“, bis 31.5., täglich ab 14 Uhr, Postfuhramt Oranienburger Straße, Mitte

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