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Ärzte kämpfen ums Überleben

■ Standesorganisation der Ärzte fordert weniger Kassenleistungen und mehr private Zahlungen. Krankenkassen nennen diese Einkommenspolitik einen Angriff auf den Sozialstaat

Köln (AP) – Auf heftige Kritik bei Krankenkassen und Gewerkschaften ist die von der Ärzteschaft geforderte Radikalkur für das Gesundheitswesen gestoßen. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) sprach gestern von einem Frontalangriff auf den Sozialstaat. Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnte vor weiteren Einkommenszuwächsen für Ärzte zu Lasten der Patienten. Dagegen hält Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer steigende Arzthonorare für gerechtfertigt. Auch von den Arbeitgebern ernteten die Mediziner Zustimmung.

In ihrem mit großer Mehrheit verabschiedeten Leitantrag sprach sich der Deutsche Ärztetag in Köln dafür aus, die Leistungen der Kassen auf das Notwendige, Zweckmäßige und Ausreichende zu reduzieren. Alles andere müsse der Patient künftig privat bezahlen.

Die 250 Delegierten stellten zugleich die paritätische Beitragszahlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Frage. Sie werde den Entwicklungen im Gesundheitswesen nicht mehr gerecht. Das gelte auch für die Bindung der Kassenbeiträge an Löhne und Gehälter. Ärztepräsident Karsten Vilmar fordert bereits seit geraumer Zeit die Festschreibung des Arbeitgeberanteils und die Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung bei kinderlosen Ehepaaren.

Die Vertreter von etwa 350.000 Medizinern riefen die Bundesregierung auch auf, die Koppelung von Zuzahlungserhöhungen an Beitragssatzsteigerungen zu überprüfen. Schon jetzt lösten 39 Prozent der Patienten wegen der Zuzahlung nicht mehr jedes Rezept ein. Der stellvertretende DAK- Vorsitzende Eckhard Schupeta erklärte in Hamburg, die Standesorganisation der Ärzteschaft verabschiede sich von ihren ethischen Grundhaltungen und stelle zunehmend ihre eigenen finanziellen Interessen in den Mittelpunkt. Die Leidtragenden seien die Patienten. Der DGB kündigte an, eine „Zerstörung der sozialen Krankenversicherung“ nicht hinzunehmen. Es sei nicht einzusehen, warum die Einkommenserwartungen der Mediziner von den Beitragszahlern befriedigt werden sollten.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen warfen Seehofer eine „reine Einkommenspolitik zugunsten der Ärzteschaft“ vor. Es könne nicht angehen, daß die Solidargemeinschaft immer mehr Ärzte finanzieren müsse. Die Kassen kritisierten besonders die Ankündigung des Ministers, die direkte Abrechnung zwischen Medizinern und Patienten auszuweiten. Die Patienten stünden damit überhöhten Honorarforderungen schutzlos gegenüber.

In einem vom Handelsblatt auszugsweise veröffentlichten Brief an die Kassenärztliche Bundesvereinigung bekräftigte Seehofer indes seine Ankündigung, die Budgetierung der Arzthonorare zu beenden und die Ausgaben nicht länger an die Entwicklung der Einnahmen zu koppeln. Zugleich nannte der CSU-Politiker Beitragserhöhungen der Kassen für den Fall geboten, daß die notwendige medizinische Versorgung nicht anders zu gewährleisten sei.

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