piwik no script img

Kreativ und sensibel die Kunden knacken

■ Das Einrichtungshaus Domicil sucht per Inserat GeisteswissenschaftlerInnen, die sich nach ihrem Studium lieber als MöbelverkäuferInnen betätigen wollen / Trotz großer Resonanz und zahlreicher offener Stellen werden nur sehr wenige eingestellt

Mit ihrem Abiturschnitt von 1,4 wollte die Hamburgerin Name ist der Redaktion bekannt „was ganz Tolles“ studieren. Medizin dann aber doch nicht, das Krankenhauspraktikum ging ihr unter die Haut. Sie entschied sich für Jura. Knifflige Fälle zu lösen, das machte ihr Spaß. Der Alltag in einer großen Anwaltskanzlei war dann aber ganz anders: „Da wurde ich in ein Kämmerchen gesetzt vor einen Stapel Akten – Erbsen zählen.“ Heute, mit 34, verkauft die promovierte Juristin Möbel in einem Einrichtungshaus in Halstenbek. Und ist endlich zufrieden. Die Wende kam mit einer Anzeige in der FAZ. „Geisteswissenschaftler/Akademiker auf der Suche nach einer neuen Aufgabe: Krempeln Sie Ihr Leben einfach um. Machen Sie etwas Befreiendes, Begeisterndes. Wir sagen ,verkaufen' dazu.“

Seit einem Jahr wirbt die Domicil Möbel GmbH auf diese Weise um neues Verkaufspersonal. „Wir suchen Leute, die kommunikativ stark sind, kreativ und sensibel“, sagt Claudio Zerweck von der Unternehmensleitung in Weingarten. Schließlich habe man anspruchsvolle Kunden, z. B. Ärzte und Unternehmer. „Die wollen ebenbürtige Gesprächspartner.“ Für GeisteswissenschaftlerInnen sei Domicil interessant, weil die sich oft in hierarchischen Behörden eingezwängt fühlten. Bei Domicil können sie dagegen selbständig arbeiten. Sogar ohne Geschäftsführer, jedes Verkaufsteam leitet sein Haus selbst. Mittlerweile sind 60 Prozent der VerkäuferInnen in den 31 Häusern AkademikerInnen. 90 Stellen wären noch zu besetzen. Auch das Bremer Einrichtungshaus am Arsterdamm 66 c sucht Personal. Trotzdem werden von den rund 200 BewerberInnen pro Anzeige manchmal nur zwei eingestellt. Einfühlungsvermögen muß man auch im Verkauf umsetzen können. „Es fällt Ihnen im Verkauf heute nichts mehr zu“, sagt Claudio Zerweck, „man muß einen verschlossenen Kunden knacken können.“ Und natürlich auch den Finanzrahmen, den er unausgesprochen im Kopf hat, ausschöpfen.

Akademiker als Verkäufer, ein tiefer Fall? „Ich habe mich auch als Hochschulassistent am Katheder verkauft“, sagt Hartmut Schulz, promovierter Theologe, heute Möbelverkäufer bei Domicil in Magdeburg. Statt seine Kreativität für „trockene Publikationen“ zu verwenden, wollte er lieber direkt mit Menschen arbeiten. Aber warum nicht als Pastor? „Ach, da kommen die Leute immer nur mit Problemen zu ihnen. Das Positive kommt viel zu kurz.“

Heute gibt es dem 43jährigen einen Kick, wenn ihm KundInnen die Einrichtung eines ganzen Hauses anvertrauen. „Die Leute wissen ja vorher nie genau, was sie kriegen, sie ahnen es nur – wir verkaufen Ideen, und das tun wir stark über die Persönlichkeit.“ Fachlich vorbereitet wurde Schulz nur in ein paar kurzen firmeneigenen Seminaren. Da lernte er zum Beispiel, Aufrisse zu zeichnen oder Stoffe zu dekorieren. Schon nach wenigen Tagen stand Hartmut Schulz im Verkaufsraum und begrüßte KundInnen. Allerdings nicht mit dem üblichen „Was kann ich für Sie tun?“, auf das fast immer ablehnend reagiert wird, sondern mit Handschlag. Ist der Kunde erst einmal durch die bis zu fünfzehn vollständig eingerichteten Wohnungen geschlendert, wird er nicht gefragt, ob er schon was gefunden habe, sondern: „Wie gefällt es Ihnen bei uns?“ Statt blitzenden Chroms erwartet die BesucherInnen „Landhausstil mit mediterranen Einflüssen“: Viel Holz, ausladende Sofas mit großblumigen Bezügen und kleinkarierten Kissen. Bauhaus-Fans würden den Stil überladen nennen, gar schwülstig; Name ist der Redaktion bekannt sagt lieber: „gemütlich“. Was ist nun das „Befreiende, Begeisternde“ am Verkaufen? „Wir verändern das Leben der Menschen“, sagt Name ist der Redaktion bekannt. Sie erzählt von all den gutverdienenden Menschen mit wenig Zeit, die sich seit Jahren in ihrem Wohnzimmer unglücklich fühlen: „Schrankwand in grausam dunkler Farbe, davor ein lila Ledersofa, ein dunkler Veloursteppich, wie er mal der letzte Schrei war …“.

Wenn diese Ratlosen dann jemand helfe, die passenden Farben und Formen zu finden, dieser Jemand ihnen noch dazu die ganze Planung abnimmt, Maler bestellt und alles, bis zum passenden Besteck, liefert …“. Manche Kunden haben wirklich Tränen in den Augen, wenn alles fertig ist“, sagt Claudio Zerweck von der Unternehmensleitung.

Solch eine Rundumversorgung hat allerdings ihren Preis. Zumal Domicil viel in kleinen Handwerksbetrieben in Deutschland fertigen läßt. Ein Korbstuhl ist nicht unter 1.100 Mark zu haben. Für ein Wohnzimmer mit Eßecke inklusive Fensterdekoration, aber ohne Teppich, kommen leicht 80.000 Mark zusammen. Name ist der Redaktion bekannt wird besser bezahlt als normale MöbelverkäuferInnen, zum Festgehalt kommt eine Umsatzbeteiligung. „Ich kann hier genauso viel verdienen wie in einer Anwaltskanzlei.“ Sie hat aber mindestens soviel Arbeit. Dreimal die Woche abendliche Hausbesuche bei KundInnen. Vielleicht noch sonntags mit nach Sylt in die neu gekaufte Ferienwohnung …“. „Aber wenn mir was Spaß macht, denke ich nicht in Stunden.“ Christine Holch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen