piwik no script img

Die Empörung lebt

■ Der AK Süd-Nord setzt sich mit westlicher Blockadepolitik auseinander

Richtig leben heißt antizyklisch leben; zum Beispiel die MASCH (Marxistische Abendschule) besuchen, während alle anderen Bremer auf der Breminale Pizzen verschlingen. Elf weitere Subjekte favorisierten das Antizyklische und versammelten sich in der Villa Ichon, um Detlev Quintern vom AK Süd-Nord Bremen zu lauschen. Keynesianer waren sie aber nicht. Das Thema: „Der lautlose Krieg gegen Cuba, Libyen, Irak, Sudan, Nordkorea. Zu den Hintergründen der Blockaden gegen die Völker des Südens.“

Ein spannendes Thema. Denn die Freund-Feind-Linie der westlichen Länder torkelt und zickzackt mysteriös: Man unterstützte Widerlinge wie Marco, Bokassa, Idi Amin, Somossa und entdeckt bei Kuba sein Herz für die Menschenrechte. Obwohl nicht einmal mehr niedere wirtschafliche oder machtpolitische Interessen diese Kubaaversion rational erklären können. Der irrationale Anteil in der westlichen Profektionsmaschinerie wurde auch deutlich, als sich die superbedrohlichen irakischen Präsidentenpaläste als eher harmlos herausstellten. Jelzin verzeiht man ein paar Tausend Tschetschenientote. Bei Chinas Tienamenopfern tut man sich schon schwerer. Südafrikas Apartheid, der Irak in der Zeit des ersten Golfkriegs, Afghanistans Mudschaheddin, die FIS in Algerien, unterschiedliche Beispiele für mal ethisch seltsames, mal interessenpolitisch dubioses taktieren.

In diesen Dschungel schwankender Sympathien brachte Quintern in seinem Vortrag Ordnung, vielleicht mehr als angemessen ist. Über den Irak erfuhr ein staunendes Paar Ohren Folgendes: Der Irak sei eine Basisdemokratie. Die Wirtschaftsblockade gelte nicht Saddam, sondern intendiere, „ein Volk in seiner Würde zu brechen“. Generell: Wirtschaftblockaden treffen Völker, die es wagen, politisch eigene Wege zu gehen. Doch deren „Werte und Moral“ beweist sich meist als stärker. Die Iraker kippen nicht um. Hier regiert die freie, reflektierte, unmanipulierte Entscheidung eines ganzen Volkes. Im Westen dagegen unterliegen wir alle hinterhältigen Meinungsmachern. Der Iraker hingegen wählt Hussein als selbstbestimmtes Individuum, wahrscheinlich auch die Kuweitokkupation und die Kurdenvergasung. Ach so: Kurdenvergasung. Da ist natürlich der Westen schuld, weil er Teile der Kurden mit Waffen versorgte. Überhaupt: Nur der Westen kennt den Vernichtungskrieg. Die Ausrottung der Armenier durch die Türken? Waren die Deutschen dran schuld. Zwar, das müsse man zugeben, gibt es auch bei Nichtweißen gewisse Streitereien. Aber die religiöse und kulturelle Identität eines anderen Volkes habe man immer respektiert. Islam? Hat sich absolut gewaltlos ausgebreitet ....

Den Ungenauigkeiten, Vereinfachungen und Lügen der westlichen Presse scheint Quintern mit entsprechenden Vereinfachungen in umgekehrter Richtung zu begegnen. Geht er aber ins Detail, zeigt er sich differenzierungswillig – und ausgesprochen gut informiert, fakten- und zahlenfirm. Schließlich ist er in Bremen Lehrbeauftragter für Kolonialgeschichte.

So manche Positionen des AK Süd-Nord Bremen scheinen von einem allzu klarem gut-böse-Denken inspiriert zu sein. Dieser stumpfe Antiamerikanismus hat aber durchaus ein erkenniszeugendes Potential. Die rigorose Skepsis gegenüber den deutschen Medien rückt Übersehenes ins Gesichtsfeld: zum Beispiel die militärische Gewalt beim Durchsetzen der Blockaden; oder unterschätzte Beziehungen zwischen Dritt-Welt-Ländern. Der große, schöne Unterschied zum herrschenden Denken ist aber ein moralischer. Auch Zeitungen wie der Spiegel oder die FR demaskieren Begriffe wie „Menschenrechte“ oder „Demokratie“ immer mal wieder als strategische Waffen westlicher Interessenssicherung. Doch unsere Medien finden das mit Hobbesschem Zynismus o.k; schließlich leben wir in der besten aller möglichen Welten. Der AK Süd-Nord findet es aber immer noch skandalös, daß Jahr für Jahr Millionen von Menschen völlig unnötig verrecken – und bekämpfenswert. Das macht ihn sympathisch. bk

Infos über den AK Süd-Nord unter Tel.: 3965578

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen